„Die größte Herausforderung ist, Vertrauen zu gewinnen“

Die Kommunalpolitikerinnen Katja Glybowskaja und Miro Zahra kamen nach Berlin, um sich über Lokalpolitik auszutauschen.

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Neugierde aufeinander, Mitteilsamkeit und praktische Vorschläge: Die beiden Helene Weber-Preisträgerinnen und Kommunalpolitikerinnen Katja Glybowskaja und Miro Zahra kamen nach Berlin, um sich mit ihren ukrainischen Kolleginnen über Lokalpolitik auszutauschen.

„Wenn man Lösungen entwickeln will, müssen sich die Rahmenbedingungen ändern. Ich wollte selber etwas verändern“, beschrieb Katja Glybowskaja (SPD), seit 2014 ehrenamtliche Stadträtin in Jena, ihre Motivation, die sie in die Kommunalpolitik gebracht hatte. Miro Zahra (Bündnis 90/Die Grünen), Kreistagsmitglied in Nordwestmecklenburg, wollte den aufkommenden „nationalen Tendenzen vom rechten Rand“ entgegentreten und die „wertvolle offene Demokratie“ verteidigen. Es gebe jedoch viele Mechanismen, vor allem in der Kommunalpolitik, die nachteilig für Frauen sind: etwa die Kommunikation und die Kumpanei der Männer. Dem müssten Frauen eigene Netzwerke entgegensetzen. Dieser Austausch, betonte auch Katja Glybowskaja, sei wichtig. Denn oft seien Probleme, die als ein persönliches erlebt würden, eigentlich struktureller Natur. Im Austausch und in der Zusammenarbeit könnten sich Frauen gegenseitig stärken.

Starke Persönlichkeiten – starke Organisationen

Natalya Deliyeva, die bei den letzten Wahlen für das Bürgermeisteramt in Odessa kandidiert hatte, führte als positives Beispiel die von ihr gegründete Frauenorganisation Diya an. Eine Organisation sei nur so stark wie die Persönlichkeiten, die darin arbeiten. „Die Frauen in dieser Organisation sind positiv eingestellt und vereint. Es sind sehr starke Frauen, die in der Ukraine Führungspositionen haben. Sie können die öffentliche Meinung verändern und zeigen, dass Frauen alles können.“ Mitstreiterinnen von Diya hätten später auch für Ämter kandidiert und hätten die Wahlen gewonnen. Zivilgesellschaftliches Engagement, so Natalya Deliyeva, bereite also auch auf ein politisches Amt vor. Diese Erfahrung teilen andere Delegationsteilnehmerinnen. So wurde Liliia Gyrenko, Vorsitzend von „Women plus“, von ihrer Organisation für die Regionalwahlen aufgestellt. Inzwischen ist sie Abgeordnete des Regionalrats von Dnipropetrowsk und vertritt dort die Anliegen von Frauen. Auch in anderen Regionen hätten sich diese Netzwerke nach dem Überfall Russlands verstärkt. „Sie sind zwar nicht immer sichtbar, aber immer effektiv“, so Liliya Kislitsyna, Vorsitzende der Frauenorganisation Smarta.

Ein anderes, landweites Netzwerk setzte sich erfolgreich für die Ratifizierung der Istanbul-Konvention (IK) ein. Am 20. Juni 2022 trat in der Ukraine das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft. Das einzige Land, das die IK mitten in einem Krieg ratifizierte.

Ein weiteres erfolgreiches Beispiel ist die Plattform „Ukrainischer Frauenkongress“, zu dem sich 2014 Abgeordnete aus sieben Fraktionen des Nationalparlaments (Werchowna Rada) zusammenschlossen, um verschiedene politische Projekte anzugehen.

„Sie trauen uns nicht viel zu“

Die größte Herausforderung aber bleibe, „das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen“, betonte Maria Chernenko, Leiterin der Militärverwaltung der Siedlung Rohan im Bezirk Charkiw. „Denn sie trauen uns nicht viel zu.“ Wichtig sei es, vor allem Überzeugungsarbeit zu leisten und unter Beweis zu stellen, dass Frauen etwas verändern können.

Liliya Kislitsyna, ehemalige Abgeordnete des Stadtrats von Kramatorsk und Vorsitzende der NGO „Smarta“ betonte die gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die Frauen daran hindern, in die Politik zu gehen: Gewalt und finanzielle Diskriminierung. Die Entgeltlücke läge in ihrer Region bei rund 40 Prozent. Ihr Weg in die Politik sei von Kämpfen begleitet, die Parteien seien Männerbünde, und selbst die Quote verschaffe Frauen wenig Möglichkeit, gehört zu werden, so Kislitsyna.

Dagegen verwies Oksana Yelchiieva, Direktorin für den sozialen Schutz der Bevölkerung in der Militärverwaltung der Region Mykolaiv, auf ihre Kollegin Tetiana Yehorova-Lutsenko als Vorbild: Als erste Frau an der Spitze des Regionalrates von Charkiw zeige sie, was Frauen in der Kommunalpolitik anders machen könnten. Sie kümmerten sich mehr um soziale Fragen, während es Männer überwiegend um die Wirtschaft gehe. Beides aber müsse sich die Waage halten. Deswegen müssten genügend Frauen in der Kommunalpolitik vertreten sein. Yelchiieva schloss mit einem eindringlichen Appell: „Lasst die ukrainischen Frauen in Deutschland nicht im Stich. Die meisten haben ihr Land gezwungenermaßen verlassen, können die Sprache nicht, sie sind in der Fremde und wissen nicht wie es weitergeht.“

Voneinander lernen – Kooperationen schließen

Von einander lernen und sich gegenseitig weiterbilden in Sachen Frauen und Macht, das sei ein wichtiger Schritt in die Zukunft.  Darüber war sich die Runde einig. Natalya Deliyeva wünschte sich für die Ukraine ganz praktisch ein Projekt wie das Helene Weber-Kolleg, einen Preis und ein entsprechendes Netzwerk. Und sie regte eine konkrete Kooperation im Kulturbereich an – mit Miro Zahra als Kooperationspartnerin, die das internationale Künstler*innenhaus Schloss Plüschow leitet und selbst eine renommierte Künstlerin ist. „Von uns aus kann die Kooperation sofort starten,“ sagte Deliyeva. Lyudmila Prokopechko, Bürgermeisterin von Dobroslav, einer Stadt im Bezirk Odessa, berichtete über das Projekt „Lieder mutiger Herzen“, das vor allem von Frontkämpfer*innen ins Leben gerufen worden sei. Sie wünsche sich, dass diese Lieder des Kampfes auch in Deutschland erklingen könnten.

Und so endete das Treffen denn mit gemeinsamem Gesang: Intoniert wurde das ukrainische Lied vom roten Schneeball auf der grünen Wiese, das den Status einer Nationalhymne hat.

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