Die Kulturschaffende und ehemalige Kandidatin für das Bürgermeisteramt in Odessa ist Vorsitzende der ukrainischen Frauenorganisation Diya.
Natalya, deine Frauenorganisation Diya ist in vielfältiger Weise für die Landesverteidigung tätig. Was genau macht ihr?
Diya hat 28 Zweigstellen in der gesamten Ukraine. Es gibt ein Freiwilligenzentrum in Riwne, das Vertriebenen hilft. In Ternopil wurde eine Näherei eingerichtet, in der Männerunterwäsche hergestellt wird, in Vinnytsia werden Tarnnetze gewebt. Auch Kropyvnytskyi engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, weil alle aus der Region Donezk evakuiert werden. Im besetzten Nova Kachowka wird ein Internat für Kinder mit Behinderung unterstützt. Das besetzte Cherson hilft kinderreichen Familien. Und alle Zweigstellen, in denen humanitäre Hilfe ankommt, leiten diese an die besetzten Städte weiter. Odessa aber ist der Hauptsitz unserer Organisation, denn Diya wurde hier ins Leben gerufen. Wir unterhalten ein Freiwilligenzentrum für humanitäre Hilfe, wir unterstützen Vertriebene, Internate, Krankenhäuser, Entbindungsheime, und natürlich helfen wir dem Militär.
Wie sieht diese Hilfe aus?
Zu Beginn des Krieges, als die Lage sehr schwierig war, haben wir Essen gekocht, Kleidung genäht und Geld für Munition gesammelt. Wir haben alles getan, was wir konnten. Denn wir kämpfen alle gemeinsam gegen einen abscheulichen Feind. Die gesamte Ukraine gleicht einem einzigen Organismus, der um sein Leben und seine Zukunft kämpft. Militärische und zivile Energien sind wie Yin und Yang, sie fließen ineinander – Front und Heck, Militär und Freiwillige, militärische Waffen, Informationswaffen, militärische Strategie und Taktik, diplomatische Strategie und Taktik: Alles ist miteinander verbunden, jeder kleine Sieg ist wie eine Perle, die sich zu einer Kette namens Endsieg aufreiht. Und ich bin sicher, dass 50 Prozent unseres Sieges von der Unterstützung eines aktiven Hinterlands abhängt.
Das aktive Hinterland sind also die Frauen- und andere zivilgesellschaftliche Organisationen?
Ja, und sie spielen in Kriegszeiten eine wichtige Rolle. Die Männer melden sich in der Regel als Freiwillige zur Armee und kämpfen in den Streitkräften. Frauen übernehmen mehr humanitäre Aufgaben. Bei Diya sind alle Freiwillige. Auch diejenigen, die mit ihren Kindern ins Ausland gegangen sind, sind dort an der humanitären Front aktiv, halten Kundgebungen ab und schicken uns humanitäre Hilfe. Wir haben aber auch Mitglieder, die im Sanitätsdienst gekämpft haben, und wir haben einen Oberstleutnant in unseren Reihen.
Du hast auf der Konferenz "Schulter an Schulter" auch erzählt, wie ihr das in Odessa stationierte 18. Marinebataillon unterstützt habt. Wie war das noch mal?
Ich wurde gleich zu Beginn des Krieges an den Standort des Bataillons gerufen, weil die Verträge für Logistikunternehmen, die den Proviant lieferten, unter Kriegsbedingungen neu abgeschlossen werden mussten. Geliefert werden musste nun an eine andere Adresse. Aber das bürokratische Prozedere dauerte zu lang. Der Krieg war bereits voll im Gange, deshalb mussten wir selbst Hilfe holen. Ich habe mein Auto genommen, mein Mann ist Fahrer und mein Schwiegersohn ist Verlader. Mitglieder von Diya trugen das Nötigste zusammen. Im Krieg muss alles schnell gehen. Es ist die Aufgabe der Freiwilligen, auf die Bedürfnisse des Militärs so schnell wie möglich zu reagieren. Und das tun wir.
Dein Ruf- oder Deckname ist "Mama". Wie bist du dazu gekommen?
Ich komme aus dem Kulturbereich und war mit den Gepflogenheiten des Militärbetriebs nicht vertraut, obwohl Diya mit den Marine-Bataillonen schon vor dem großen Krieg regelmäßig zu tun hatte. Kurz nach Kriegsbeginn hielt mich der Posten auf einmal an und fragte nach meinem Rufnamen. Ich nannte ihm meinen Nachnamen – und er: "Nein, das ist doch kein Rufname! Kommst du aus Odessa?" Ich bejahte und fügte hinzu: "Odessa-Mama ist hier", denn unsere Stadt wird auch "Mama" genannt. Und so bin ich zu meinem Rufnamen gekommen, den der Posten im Bataillon weitergab. Leider ist dieser Mitstreiter am 3. Juni gestorben. Das ist ein großer Verlust für mich. Er war der beste Militär, den ich kannte, und ich vermisse ihn sehr. "Mama" werde ich jetzt auch in unserem Freiwilligenzentrum gerufen. Denn die Flüchtlinge kommen mit Kindern und ich passe auf sie auf, wenn ich Zeit habe. Wir helfen den Kindern in Odessa sehr viel. Mein Rufname wird mich also noch manches Jahr begleiten.
Bei den letzten Bürgermeister-Wahlen in Odessa bist du als Kandidatin der Partei "Holos" angetreten. Was waren deine Beweggründe?
Ich wollte anderen Frauen zeigen, dass Politik weder schmutzig noch beängstigend ist, sondern dass dort wesentliche Entscheidungen für uns alle getroffen werden. Die Abwesenheit von Frauen in der Politik ist eine Schande. Doch Stereotypen versperren ihnen den Weg dorthin. Auch in den Parteien werden sie traditionell mit der Rolle der "Selbsthilfegruppe" betraut. Als Kandidatinnen erhalten sie weniger Stimmen; und wenn sie mit feministischen Positionen für die Gleichstellung der Geschlechter eintreten, ist ihr Erfolg noch geringer. In den Augen vieler Wähler und Wählerinnen sind sie Feinde der Männer, der Familie und der Traditionen. Deshalb ist es für Frauen in der Politik leichter, wenn sie starke Verbindungen zu Frauenorganisationen unterhalten. Es ist notwendig, nicht allein in einem politischen Vakuum zu agieren, sondern in Verbindung mit Frauen zu arbeiten. Mein Wahlslogan war "Frau für Frau". Denn wer sonst kennt die Probleme der Gemeinschaft, der Gesellschaft und des Landes besser als eine Frau. Sie führt den Haushalt, geht zum Einkaufen, ins Krankenhaus, in die Schule, in den Kindergarten …, sie kennt alle Probleme, wird andere auf diese Probleme aufmerksam machen und kann sie gemeinsam mit anderen Abgeordneten lösen. Doch aus irgendeinem Grund stimmen Frauen nicht für Frauen. Sie sagen: "Während ich Borschtsch koche, spricht die auf dem Podium?" Oder: "Politik ist Männersache". Solche Meinungen rühren aus der Familie und der Erziehung her. Meine Tochter wird so etwas nie sagen, denn sie hat ein Vorbild: ihre Mutter, die stark wie ein Panzer ist. Auch wenn ich nicht gewonnen habe, so habe ich doch viel gelernt: Ich wurde mit Dreck beworfen, verleumdet und habe mir das zuerst sehr zu Herzen genommen. Erst als ich aufgehört habe, diesen Schmutz zu lesen und darauf zu reagieren, wurde es weniger. Die wichtigste Lektion, die ich gelernt habe, ist, mutig zu sein, keine Angst zu haben, Verantwortung zu übernehmen und bis zum Ziel zu gehen.