Die EAF hat mehrere Videokonferenzen mit den ukrainischen Projektpartnerinnen organisiert, um über die Situation vor Ort zu informieren, den politischen Forderungen der Partnerinnen Gehör zu verschaffen und Möglichkeiten der praktischen Unterstützung zu besprechen.
Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine ist das kürzlich gestartete Projekt "Gemeinsam für Demokratie" zu einem jähen Halt gekommen. Die EAF Berlin und die Konrad-Adenauer-Stiftung hatten gerade erst die Zusammenarbeit mit Kommunalpolitikerinnen und Frauenorganisationen in der Ostukraine begonnen. Ziel des Projektes war es, Frauen in der Kommunalpolitik in den ostukrainischen Gebieten zu vernetzen und ihren Anteil zu erhöhen. Nun ist daraus ein Notprogramm geworden mit dem Ziel, die Partnerinnen im Kriegsgebiet so gut wie möglich von Deutschland aus zu unterstützen. Dazu gab es am 11. März einen ersten, bewegenden Online-Austausch zwischen vier ukrainischen Partnerinnen und rund 30 deutschen Teilnehmer*innen, darunter Kommunalpolitikerinnen aus dem Helene-Weber-Netzwerk der EAF, Firmenpartner der EAF und Vertreterinnen anderer Frauenorganisationen.
"Wir sterben und müssen immer wieder auferstehen"
Zunächst berichtete Yuliya Siedaia, Soziologin und Leiterin eines Projektes "Frauen in Führungspositionen", die sich nach Lviv in die Westukraine geflüchtet hatte, über die Lage in ihrer belagerten Heimatstadt Charkiv. Sie sprach über die gezielten russischen Angriffe auf zivile Ziele und die gesamte Infrastruktur, über den Einsatz von Streu- und Vakuumbomben, die von der UN-Waffenkonvention verboten sind. Sie betonte den großen Verteidigungswillen der Bevölkerung, aber teilte auch ihre Angst um Familienangehörige, die in Charkiv zurückgeblieben sind: "Wir sterben täglich mit ihnen und müssen doch immer wieder auferstehen. Wir leben in einem unfassbaren Albtraum."
Im westlich gelegenen Lviv sei die Situation noch relativ ruhig. Dennoch gebe es ständigen Alarm und südlich davon auch erste Luftangriffe, ein gefährliches Zeichen dafür, dass sich der Krieg auf die ganze Ukraine ausdehnen würde. "Helft uns, den Luftraum über der Ukraine zu sperren", so Yuliya Siedaias eindringliche politische Bitte, die mehrfach von ihren Landsfrauen wiederholt wurde. Eine zweite Forderung betraf die Öffnung und Überwachung von Flucht- und Versorgungswegen, um die Menschen aus den belagerten und zerstörten Städten zu evakuieren und Güter dorthin zu liefern.
"Viele fahren ohne Plan und Ziel los"
Aus Lviv, eine Zwischenstation für zahllose Geflüchtete, die von dort aus einen Weg über die Grenze weiter nach Westen suchen, berichtete auch Liliya Kislitsyna. Die ehemalige Abgeordnete des Stadtrats von Kramatorsk und Leiterin einer Frauenrechtsorganisation schilderte, wie die komplizierte Logistik vor Ort geleistet werden muss, um dringend benötigte Hilfsgüter bedarfsgerecht in die Kriegsgebiete zu befördern und zu verteilen. Sie und ihre Mitbürgerinnen treibt aber auch die Sorge um die geflüchteten Frauen und Kinder um. "Viele fahren ohne Plan und Ziel los in den Westen" und wüssten nichts von den Gefahren, die auf dem Fluchtweg für sie und ihre Kinder lauerten.
"Wir wollen schreien, damit die ganze Welt uns hört"
Die Juristin und Universitäts-Dozentin Irina Grytsai, ehemals Leiterin in der Oblast-Verwaltung der zentralöstlichen Stadt Dnipro, schaltete sich von dort aus zu. Dnipro, auch ein Sammelbecken für Binnenflüchtlinge, ist bereits unter Beschuss geraten. "Wir wachen auf vom Raketenbeschuss, das Blut gefriert in den Adern, Angst paralysiert dich, aber dann denkst du zuerst an die Kinder und musst handeln. Wir wollen schreien, damit uns die ganze Welt hört", so Irina Gritsay.
"Die Menschen kommen aus dem Krieg, nicht wegen des deutschen Sozialstaats"
Darya Romanenko, in Charkiv geboren und in Deutschland aufgewachsen, war bis vor kurzem Leiterin einer NGO in Sloviansk. Sie berichtete von ihrer lebensgefährlichen Flucht mit Vater und Großmutter aus Charkiv nach Rumänien. Sie sprach über die große Hilfsbereitschaft der Rumän*innen, aber auch über die Angst und die Panik unter den Fliehenden. Aktuell engagiert sie sich unter anderem für die Flüchtlingshilfe in der rumänischen Grenzregion und für die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten in ihrer Heimatstadt Kehl am Rhein. Eindrücklich schilderte sie die logistischen Probleme und bürokratischen Hürden, die sich vor den Ankömmlingen aufbauen. Viele würden ins Nirgendwo fahren, ohne Kenntnisse vom Land, in das sie kämen, ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld, erschöpft und traumatisiert. In den Sammelunterkünften gäbe es keine Ansprechpartner*innen, sondern nur einen Sicherheitsdienst. "Diese Menschen kommen wegen des Kriegs, nicht wegen des Sozialstaats", sagte Darya Romanenko und kritisierte, wie wenig die Verantwortlichen hier auf die Situation der Geflüchteten eingestellt seien. Sie forderte dringend den Abbau bürokratischer Schranken und mehr Flexibilität der kommunalen und regionalen Verwaltungen.
Hilfe: sofort und so unbürokratisch wie möglich
Über die Probleme bei der Registrierung und Unterbringung von Geflüchteten in Kommunen sprachen mehrere deutsche Teilnehmerinnen. Christine Klein, Bürgermeisterin der Stadt Bensheim, informierte über die zentrale Registrierung und die nachfolgende Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel im Bundesland Hessen. Die Kommunen hätten wenig Spielraum für schnelle unbürokratische Hilfe, so fehlten in ihrem Landkreis Wohnungen. Ursula Sautter, stellvertretende Vorsitzende von UN Women Deutschland und ehrenamtliche Bürgermeisterin der Stadt Bonn, betonte die Notwendigkeit einer sofortigen Hilfe, erwähnte aber auch, dass Bonn bereits eine Überbelegungsquote von Geflüchteten von 140 % habe – eine Situation, die viele anderen Kommunen teilen. Sie wiederholte zentrale Forderungen, die Frauenrechtsorganisationen spätestens seit der großen Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 formuliert haben: Keine Unterbringung von Frauen und Kindern in gemischtgeschlechtlichen Sammelunterkünften, Gewaltschutzprogramme für geflüchtete Frauen, eine auf Frauen und Kinder ausgerichtete Flüchtlingspolitik.
Um Gewaltschutz ging es auch bei Elke Heitmüller. Die Leiterin der Abteilung "Diversity" bei VW schilderte ihre Eindrücke, die sie bei einem Besuch des Berliner Hauptbahnhofs gesammelt hat. Der aktuell zentrale Ankunftsort für Geflüchtete ist ins Gerede gekommen, weil Männer dort gezielt junge Frauen angesprochen und ihnen Unterkunft angeboten haben. Vor Ort warnen Polizei und Hilfsorganisationen vor sexueller Ausbeutung.
Einigkeit bestand darüber, dass Frauenorganisationen sich gemeinsam stärker für die Geflüchteten einsetzen müssen und umfangreiche finanzielle Soforthilfe für die Ukraine unabdingbar ist. Spenden sollen an Organisationen gehen, die entweder im Kriegsgebiet selbst oder in enger Partnerschaft mit Menschen dort arbeiten und für welche die ukrainischen EAF-Partnerinnen bürgen.
Neben der humanitären Hilfe betonte Helga Lukoschat, die Vorstandsvorsitzende der EAF, auch die politische Unterstützungsarbeit. Dazu gehöre, über die Geschichte der Ukraine aufzuklären und über die dortige Zivilgesellschaft und ihren Einsatz für Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung zu informieren. "Wir haben großen Respekt vor Eurem Mut und Eurem Engagement und werden Euch beistehen, wo wir können", so Helga Lukoschat zum Abschied.