Anfang März hat Außenministerin Baerbock die neuen Leitlinien für Feministische Außenpolitik (FFP) vorgestellt. Du warst als zivilgesellschaftliche Expertin am Konsultationsprozess beteiligt. Wie beurteilst du die Leitlinien?
Ich halte feministische Außenpolitik für wichtig und relevant und stimme grundsätzlich mit der Außenministerin überein, wenn sie sagt: Solange Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher. Frauenrechte sind auch in den Ländern, in denen ich tätig war und bin, der Gradmesser für den Zustand der Gesellschaft. Mir gefällt auch, dass sie immer wieder den Bezug zur Praxis sucht und nicht zuletzt, dass das Auswärtige Amt an seinen eigenen Strukturen arbeiten und die Repräsentanz von Frauen stärken will. Gender Budgeting ist langfristig ein gutes Instrument, auch wenn es sicherlich in der Entwicklungszusammenarbeit nicht immer einfach anzuwenden ist. Auf der einen Seite gibt es in den Leitlinien eine Vision, auf der anderen Seite ganz praktische Projekte, zum Beispiel die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in der Ukraine, insbesondere auch die Verbrechen an Frauen. Dass sich Annalena Baerbock dafür engagiert, dass die Täter verfolgt und bestraft werden, finde ich gut.
Was mir aber fehlt, sind konkrete Antworten einer feministischen Außenpolitik auf einen Krieg, wie ihn Russland aktuell gegen die Ukraine führt. Denn sie betont eine nicht-militärische, eher pazifistische Diplomatie. Wie kann sie gegenüber einer Diktatur wie Russland, die Menschen- und Frauenrechte mit Füßen tritt, wirksam werden? Sollten wir mit feministischer Außenpolitik nicht ein viel stärkeres Monitoring von Staaten betreiben, in denen Menschen- und Frauenrechte missachtet werden? Sollte das nicht ein Seismograph für uns sein? Solche Länder sollten für uns keine Partner sein, auch keine wirtschaftlichen. Das sind Länder, die potenziell auch in ihrer Außenpolitik aggressiv werden können. Hier geraten wir mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik immer in einen Widerspruch, und dem sollten wir uns zumindest stellen. Auf der einen Seite haben wir unsere kleine heile Welt, auf der anderen Seite versuchen wir das, was dem entgegensteht, auszublenden oder mit kleinen Projekten entgegenzuwirken, indem wir zum Bespiel Frauen unterstützen. Das ist doch keine Lösung! Wir müssen vielmehr ehrlich diskutieren, was unsere Interessen in der Welt sind, und auch, ob wir wirtschaftliche Interessen zurückstellen können. Und wenn wir das nicht tun können, weil die Wirtschaft wichtiger ist als die Werte, dann sollten wir dazu auch stehen.
Du meinst, wir sollten die Menschenrechte nicht so hochhalten, sondern zugeben, dass die Wirtschaft immer Vorrang hat?
Ja, denn genau so war es mit Russland. Putin konnte machen was er wollte, zum Beispiel 2014 den Krieg gegen die Ukraine beginnen, und dennoch wurde Nord Stream 2 unterschrieben. Daraus müssen wir doch Lehren ziehen! Zum Beispiel, indem wir die Ukraine noch viel stärker unterstützen als bislang. Das wäre eine feministische Außenpolitik, wie ich sie verstehe. Denn in der Ukraine werden unsere Werte verteidigt. Und wenn wir dieses Russland nicht stoppen, dann werden ihm noch viel mehr Menschen zum Opfer fallen, und da sind Georgien und Moldau nur zwei Beispiele.
Vor kurzem bist du nach Chisinau versetzt worden. Kannst du aus den Leitlinien etwas für deine neuen Aufgaben in Moldau ziehen?
Ich kann an dem Ziel anknüpfen, die Repräsentanz von Frauen in der Politik zu verstärken. Gleichberechtigte Teilhabe, gerade in der Politik, ist Grundvoraussetzung für eine demokratische Entwicklung, auch hier in Moldau. Wir haben eine gute Ausgangslage dafür: Moldau hat eine Präsidentin, bis vor kurzem gab es auch eine Ministerpräsidentin, und das Kabinett ist mit vielen Frauen besetzt, die unter anderem auch für Themen wie Sicherheit und Inneres verantwortlich sind. Frauen sind hier die „Agents of Change“, wie sie auch in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes erwähnt werden. Sie bringen die Gesellschaft voran, sind nicht korrupt; sie haben eine Vision für eine demokratische Moldau. Meine Aufgabe hier wird vor allem sein, dieses politische Engagement auf der kommunalen Ebene zu stärken, natürlich mit dem Ziel die Repräsentanz von Frauen auch auf höherer Ebene zu befördern.
Sind die weiblichen Regierungsmitglieder geschlechterpolitisch aufgeschlossen?
Aufgeschlossen schon, aber sind machen mit dem Thema Gleichstellung nicht unbedingt Werbung, denn die hiesige Gesellschaft ist noch ziemlich konservativ. Aber es ist zu spüren, dass hier eine neue Frauengeneration agiert.
Unser Kooperationsprojekt "Gemeinsam für Demokratie" war in vielerlei Hinsicht gelebte Feministische Außenpolitik. Kannst du daran anknüpfen bei der Arbeit in Moldau?
Auf jeden Fall. Ich habe selbst in diesem Projekt gelernt, wie man in der Praxis Frauen in der Politik stärken kann. Gerade auch in osteuropäischen Gesellschaften, die noch viele Herausforderungen für Frauen bieten. Ich nehme auch mit, dass das eine Hauptaufgabe der politischen Bildung hier sein muss, nicht irgendein Nebenprogramm. Denn es sind, wie gesagt, häufig Frauen in diesen Gesellschaften, die Veränderung bringen.
Was sind deine nächsten geschlechterpolitischen Projekte?
Zunächst will ich die Frauenorganisationen unserer Partnerparteien treffen, um zu erfahren, was ihre Anliegen, Bedarfe und Wünsche sind. Dann sind hier im Herbst Kommunalwahlen, und wir wollen schauen, wie wir im Anschluss ein Projekt machen können, das sich direkt an Frauen wendet. Interessant fände ich auch einen Austausch zwischen kommunalpolitisch aktiven Frauen in der Ukraine und in Moldau. Beide haben den EU-Kandidatenstatus. Beide arbeiten an der Stärkung der Regionen und der kommunalen Ebene, in der Ukraine wurde das bereits umgesetzt, in Moldau ist das noch im Prozess. In beiden Ländern ist die Repräsentanz von Frauen auf dieser Ebene noch eher schwach. Gerade jetzt, wo es auch um den Wiederaufbau der Ukraine geht, könnte ich mir ein Austauschprogramm in der Grenzregion gut vorstellen.