Frauen verdienen weniger als Männer und verbringen mehr Zeit mit Sorgearbeit. Für eine gerechtere und gleichberechtigte Gesellschaft muss Zeit anders gedacht und verteilt werden. Ein Beitrag zum Equal Pay Day von EAF-Expertinnen Lisa Hanstein und Simone Rajilić.
Der Bruttostundenlohn von Männern lag 2023 bei durchschnittlich 25,30 Euro. Frauen hingegen verdienten im Schnitt nur 20,84 Euro pro Stunde, also knappe 4,5 Euro weniger. Die geschlechtsspezifische Lohnlücke, der sogenannte Gender Pay Gap, liegt in Deutschland unverändert bei rund 18 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2024a).
Gründe für die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Gründe dafür sind vielfältig: Eine der Ursachen liegt in der unterschiedlichen Berufswahl und -segregation. Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Berufen/Branchen als Männer und haben seltener eine Führungsposition. Sie unterbrechen ihre Karrieren häufiger für die Familienpflege oder Kindererziehung, nehmen mehr Elternzeit und arbeiten öfter in Teilzeit- oder Minijobs. All das wirkt sich auf berufliche Aufstiegschancen und langfristig auf Gehalt und Rente aus.
Allerdings verdienen Frauen auch dann weniger, wenn Tätigkeit, Bildungsweg und Erwerbsbiografie vergleichbar mit ihren männlichen Arbeitskollegen sind. Dieser bereinigte Gender Pay Gap beträgt immer noch 6 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2024). Hier spielt u.a. Sexismus am Arbeitsplatz eine Rolle, sei es durch direkte Benachteiligung oder strukturelle Ungleichheiten. Frauen werden bei Gehaltserhöhungen und Beförderungen seltener berücksichtigt. Diese "gläserne Decke" verhindert den Aufstieg in höhere Führungspositionen. Frauen fordern in Gehaltsrunden weniger offensiv, was in Kombination mit traditionellen Rollenerwartungen ihre Verhandlungsmacht beeinflusst. Da Gehaltsstrukturen oft nicht transparent gemacht werden, sind Ungleichheiten meist nicht sichtbar.
Lohngerechtigkeit intersektional denken
Damit eine gerechtere und gleichberechtigtere Arbeitswelt Wirklichkeit wird, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene: Maßnahmen, die Gleichstellung in der Berufswelt fördern, die Bekämpfung von Diskriminierung insgesamt sowie transparente Gehaltsstrukturen sind nur einige Beispiele. Aber: Lohngerechtigkeit muss intersektional gedacht werden! Oft betrachten wir Geschlechterfragen eindimensional und sprechen über privilegierte Menschen: Wir sehen vor unserem inneren Auge weiße, sehr gut ausgebildete Cis-Frauen ohne Migrationsgeschichte und ohne Behinderung. Die Realität vieler Frauen sieht aber anders aus. Untersuchungen zeigen, dass der Migration Pay Gap etwa bei 11 % (Männer mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft) bzw. 17,6 % (Frauen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft) (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes) liegt. Für Frauen mit Migrationsgeschichte bedeutet dies, dass sich gleich mehrere Diskriminierungsformen negativ auf ihr Gehalt auswirken. Der Class Pay Gap betrifft Menschen aus Arbeiter*innenfamilien und spielt insbesondere bei Männern eine Rolle, Frauen aus nicht-akademischen Herkunftsfamilien hingegen müssen keine bedeutend schlechtere Bezahlung erwarten als Frauen insgesamt (vgl. Reiss et al. 2023). Entgeltgleichheit spielt auch für die LGBTIQ+-Community eine Rolle: Queere Menschen werden im Durchschnitt schlechter bezahlt als heterosexuell gelesene Personen. Besonders eklatant ist die Lohndiskriminierung zwischen trans* Personen und ihren Cis-Kolleg*innen (vgl. Proudr 2023).
Was hat Equal Pay mit Equal Care zu tun?
Ein zusätzlicher Aspekt, der häufig übersehen wird, ist die unfaire Verteilung von Care-Arbeit, vor allem der unbezahlten Pflege- und Fürsorgearbeit. Eine Form der Arbeit, die zwar essenziell ist für eine funktionierende Wirtschaft, deren gesellschaftliche Bedeutung in konventionellen wirtschaftlichen Betrachtungen häufig nicht erfasst wird.
Die aktuelle Zeitverwendungserhebung zeigt, dass Frauen durchschnittlich knapp 44 % mehr Zeit mit Sorgearbeit verbringen als Männer (vgl. Statistisches Bundesamt 2024b). Frauen kümmern sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige, kochen Essen, waschen Wäsche und befüllen die Kühlschränke. Aber auch das Kümmern um Nachbar*innen, das Pflegen von Freundschaften oder ehrenamtliches Engagement gehören zu den Fürsorgetätigkeiten in unserer Gesellschaft, für die es zwar keinen Lohn gibt, aber ohne die es nicht geht. Wer nicht isst oder gefüttert wird, keine saubere Wäsche und niemanden zum Reden, Lachen und Weinen hat, (über)lebt nicht lange. Nun bringt Sorgearbeit einerseits kein Geld, kostet dafür aber Zeit. Zeit, in der andere Menschen Geld verdienen – oder aber freie Zeit genießen, sich ausruhen und um das eigene Wohlbefinden kümmern können. Denn Fürsorge erbringen wir nicht nur für andere, sondern im Idealfall auch für uns selbst. Nur wer genügend Zeit für Ruhe und Erholung hat, kann sowohl mental als auch körperlich gesund bleiben. Doch davon können viele Menschen – insbesondere Mütter mit kleinen Kindern, aber auch generell Menschen in prekären Jobs – oft nur träumen. Nicht nur der Gender Pay Gap macht uns also wütend, sondern auch der Gender Care Gap.
Care-Arbeit ist weiblich konnotiert. Ein Grund, warum Männer sich weniger zuständig fühlen. Dabei wünschen sich auch Männer mehr Care- und weniger Lohnarbeit. Jeder zweite Vater in Deutschland will laut dem Väterreport 2023 z.B. die Hälfte der familiären Kinderbetreuung übernehmen (vgl. BMFSFJ 2023). Doch die Realität ist bisher zumeist eine andere, auch weil viele Männer Einbußen im Job fürchten bzw. tatsächlich erleben.
Care-Arbeit ist Arbeit
Unbezahlte Care-Arbeit wird in den allermeisten Fällen als selbstverständlich vorausgesetzt ("Aber du wolltest doch Kinder") und bleibt damit in ihrem Wert für unsere Gesellschaft unsichtbar. Fürsorgetätigkeiten bilden das Fundament unserer Gesellschaft, ermöglichen sie oft erst die produktive Erwerbsarbeit von anderen. Frauen tragen hier einen erheblichen Anteil, der jedoch in der traditionellen ökonomischen Sichtweise oft unsichtbar bleibt. Der monetäre Wert unbezahlter Care-Arbeit in Deutschland wird auf 825 Milliarden Euro jährlich geschätzt. (vgl. https://www.closeecondatagap.de/). Gleichstellungspolitische Initiativen mahnen daher schon lange an, dass hier ein Umdenken stattfinden und der ökonomische Wert von Sorgearbeit anerkannt werden muss, wenn wir es mit der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ernst meinen. Wir brauchen also eine Neubewertung von Arbeit, denn Care-Arbeit ist Arbeit.
Aber Care-Arbeit ist nicht immer unbezahlt: Die Betreuung und Erziehung von Kindern im Krippen- und Vorschulalter, die professionelle Pflege von Kranken und Alten, die Begleitung von Menschen ins Leben und in den Tod gehören beispielsweise zu den bezahlten Formen des Sich-Sorgens um andere. Die wirtschaftliche Geringschätzung zeigt sich auch hier in niedrigen Löhnen und viel zu hoher Arbeitsbelastung. Nicht zu vergessen all die Frauen, die oftmals ohne jegliche soziale Absicherung putzen, kleine Kinder betreuen oder ältere Menschen pflegen für zu wenig Geld, um sich davon ein "Gutes Leben" leisten zu können. Auch auf diese Frauen aus in der Regel marginalisierten Communities wartet zu Hause der gleiche Berg an Care-Arbeit, die sie aber nicht outsourcen können. Ein weiter Grund also, warum wir die Forderung nach Equal Pay immer intersektional und immer zusammen mit Equal Care denken müssen.
Zeitgerechtigkeit
Auf der Suche nach Antworten für eine gerechte Gesellschaft kommen wir um das Thema Zeit nicht umhin. Genauer: eine fairere Verteilung von Zeit untereinander. Nicht umsonst ist Zeit das Motto des diesjährigen Equal Pay Day (vgl. Business and Professional Women Germany e.V.). Wir fordern heute also nicht nur das Aufbrechen von Lohnunterschieden, sondern auch von Zeitunterschieden.
Wie kann eine faire Verteilung von Zeit in unserer Gesellschaft aussehen, die es Menschen unabhängig ihres Geschlechts ermöglicht, zu gleichen Teilen Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, Zeit für politisches Engagement, für die eigene Aus- und Weiterbildung aber eben auch Freizeit für Ruhe und Erholung zu haben? Ideen dazu gibt es viele. Gemeinhin wird ein Reduzieren der Erwerbsarbeitszeit für alle als Voraussetzung dafür gesehen, den Tag auch mit anderen "Zeiten" füllen zu können. Ziel ist es, einen Lebensstil zu etablieren, der nicht nur den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sondern auch den nachhaltigen Umgang mit ökologischen Ressourcen ermöglicht (vgl. Völkle 2020). Ansichten darüber, wie viele Stunden Erwerbsarbeit am Tag sinnvoll wären, sind unterschiedlich. Der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung beispielsweise schlägt eine Reduktion der Vollzeitarbeit auf 30 bis 35 Stunden wöchentlich vor (vgl. BMFSFJ 2017: 121). Die Soziologin Frigga Haug hält sogar noch weniger für richtig. In ihrer viel diskutierten 4-in-1-Perspektive unterteilt sie einen 24-Stunden-Tag in 8 Stunden Schlaf, 4 Stunden Erwerbsarbeit, 4 Stunden "Reproduktionsbereich" sprich Sorgearbeit, 4 Stunden Kultur und 4 Stunden Politik (vgl. Haug 2011). Teresa Bücker fehlt in Haugs 4-in-1 Modell zusätzlich die unverplante Zeit. Zeit, die nicht im Voraus festgelegt und in sich getaktet ist, sondern über die wir spontan und frei verfügen können (vgl. Bücker 2023).
Alle Vorschläge eint der Gedanke, dass über eine gerechtere Verteilung von Zeit das gesellschaftliche Machtgefälle zwischen jenen, die viel Geld erwirtschaften können (und auch genau das tun) und jenen, die schlecht oder unbezahlt arbeiten müssen (und nichts dagegen tun können) ausgeglichen werden kann. Das Motto der Zukunft für eine gerechte und chancengleiche Gesellschaft lautet also: Care-Arbeit für alle – statt möglichst viel Erwerbsarbeit für alle.
#Equal Pay? Gibt es nur zusammen mit #Equal Care und #Zeitgerechtigkeit!
Über den Equal Pay Day
Der Equal Pay Day, 66 Tage nach Jahresbeginn, markiert symbolisch den Punkt, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, wenn man die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern berücksichtigt. So lange dauert es, um die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche oder gleichwertige Arbeit wettzumachen.
Fußnote: Bei Männern und Frauen handelt es sich nicht um homogene Gruppen. Manche Menschen unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihres Geschlechts, sind sich aber z.B. mit Blick auf ihre soziale Herkunft, ihren Bildungsgrad oder ihre Migrationsgeschichte viel ähnlicher als es Menschen mit dem jeweils gleichen Geschlecht wären. Frauen und Männer sind vielfältig! Was Zahlen, Daten, Fakten über Gender Gaps allerdings zumeist völlig außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft mehr als zwei Geschlechter gibt. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns!
Autorinnen
Lisa Hanstein arbeitet als Senior Expert an der Schnittstelle von Vielfalt und Chancengerechtigkeit in der digitalen (Arbeits-) Welt. Dr. Simone Rajilić arbeitet bei der EAF Berlin als Senior Expert und berät Organisationen zu den Themen Vielfalt und Chancengleichheit.
Literatur
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Migration Pay Gap. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Glossar_Entgeltgleichheit/DE/19_Migration_Pay_Gap.html
Bücker, Teresa (2023): Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit. Berlin.
Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2023): Väterreport 2023. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/230374/1167ddb2a80375a9ae2a2c9c4bba92c9/vaeterreport-2023-data.pdf
Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2017): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. https://www.gleichstellungsbericht.de/zweiter-gleichstellungsbericht.pdf
Business and Professional Women Germany e.V. (2024): Projektwebsite des Equal Pay Day 2024 - Höchste Zeit für Equal Pay! https://www.equalpayday.de/
Haug, Frigga (2011): Die Vier-in-einem-Perspektive als Leitfaden für Politik. Das Argument 26/2011, 241 - 250. http://www.friggahaug.inkrit.de/documents/DA291_fh.pdf
Proudr (2023): Wir müssen über unser Gehalt sprechen: Der Gender Pay Gap und Gay Wage Gap, online unter:https://proudr.com/wir-muessen-ueber-unser-gehalt-sprechen-der-gender-pay-gap-und-gay-wage-gap/
Reiss, Lea Katharina/Schiffinger, Michael/Rapp, Marco Leander/Mayerhofer, Wolfgang (2023): Intersectional income inequality: a longitudinal study of class and gender effects on careers. Culture and Organization https://doi.org/10.1080/14759551.2023.2232505
Statistisches Bundesamt (2024a): Auswertung zum Gender Pay Gap vom 18. Januar 2024. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html
Statistisches Bundesamt (2004b): Gender Care Gap 2022: Frauen leisten 43,8 % mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Pressemitteilung. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_073_63991.html
Völkle, Hanna (2020): Warum Zeitpolitik feministisch-ökologisch gestaltet werden muss. Ökologisches Wirtschaften 4.2020 (35), 22-23.