Brauchen wir eine Mütterquote?

Lediglich ein Drittel unserer Bundestagsabgeordneten sind weiblich. Auf länder- und kommunalpolitischer Ebene sieht es noch schlechter aus. Nur knapp 28 Prozent aller Plätze in den kommunalen Vertretungen werden von Frauen besetzt. Damit ist die weibliche Perspektive in der Politik massiv unterrepräsentiert. Initiativen fordern deshalb eine verbindliche Frauenquote in der Politik. Eine solche Quote würde aber nur jene Frauen fördern, die keine Kinder haben.

Gastbeitrag von Aura-Shirin Riedel und Sarah Zöllner.

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Politik profitiert von der weiblichen Perspektive

Politische Entscheidungen sind eine Frage von Machtverhältnissen. Schon bevor Anträge zur Abstimmung gebracht werden, entscheiden die Mehrheiten in den Gremien darüber, ob sie angenommen werden oder eben nicht. Ist eine bestimmte Gruppe in diesen Gremien überrepräsentiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich ihre Interessen in den Entscheidungen widerspiegeln.

Auch wenn Frauen und Männer vor dem Gesetz gleich sind – ihre Lebensrealität ist es faktisch nicht. Frauen sind im Alltag öfter mit Sexismus, Gewalt und Marginalisierung konfrontiert. Vor allem aber sind sie stärker in den sozialen und familiären Kontext eingebunden als Männer. Spätestens mit der Familiengründung unterscheidet sich die alltägliche Erfahrungswelt von Frauen noch immer stark von der der Männer. Während Männer nach wie vor stärker in den beruflichen Kontext eingebunden sind, sind Frauen für den Großteil der Carearbeit zuständig. Damit werden Wirtschaft und Politik nach wie vor aus einer überwiegend männlichen Perspektive heraus gestaltet und geprägt.

Alleine um diesen Umstand zu beseitigen, braucht es mehr Menschen in der Politik, die die weibliche Erfahrungswelt teilen und neue Lösungen anbieten. Problematisch wird es, wenn genau jenes Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen das verhindert. Gleichstellungspolitische Maßnahmen wie die Frauenquote sind also ein Werkzeug, das wie eine Brechstange funktioniert, um den Frauen die verschlossenen Türen der Politik zu öffnen.

Frauenfeindlichkeit im politischen Alltag

Vor allem in sehr konservativen Kreisen der Gesellschaft hat man(n) sich lange gegen eine Frauenquote in Wirtschaft und Politik gewehrt. Gleichberechtigung ist allerdings kein „Nice to have“, sondern seit über siebzig Jahren Teil unserer Verfassung.

Doch das scheint nicht bei allen (männlichen) Entscheidungsträgern angekommen zu sein. Es ist noch nicht lange her, da wurden Frauen im Plenum des Bundestags gerne mal als „wichtige Unterstützung“ bezeichnet, statt als gleichwertige Politikerinnen. Die AfD mit Ihrem offensiven Antifeminismus setzt da noch eine Schippe drauf. In einer SPIEGEL-Umfrage aus dem Jahr 2021 sagten 69 Prozent der Politikerinnen, sie erlebten „frauenfeindlichen Hass als Bundestagsabgeordnete“. 64 Prozent bekamen entsprechende E-Mails und Briefe. 36 Prozent erlebten „Angriffe auf sich, ihre Büros oder ihren Wohnsitz“. Die Hälfte musste gar die Bundestagsverwaltung oder die Polizei einschalten und fast ein Drittel erhöhte die Sicherheitsmaßnahmen bei Veranstaltungen. Als Quelle der Anfeindungen nannten sie die Rechtsaußen-Fraktion. Insgesamt sei die Stimmung durch die AfD im Bundestag frauenfeindlicher geworden.i

Ein solches Klima macht es für Frauen natürlich nicht einfacher, in die politischen Gremien zu gelangen und auf Augenhöhe mitzubestimmen. Dass eine Frauenquote tatsächlich hilft, die Frauenanteile zu erhöhen, zeigen die Zahlen jener Parteien, die sie bereits eingeführt haben. Allen voran die Grünen, die sich in den 1970er Jahren Parität ins Parteibuch geschrieben haben. Hier überwiegt der Frauenanteil mit über 59 Prozent sogar etwas. Gefolgt von knapp 54 Prozent bei den Linken und 48 Prozent bei der SPD. In den konservativ-liberalen Fraktionen, in denen Frauenquoten nicht bindend sind, sind die Machtverhältnisse deutlich verschoben: Nur ein Viertel der Abgeordneten bei der FDP sind weiblich. Die Union kommt gerade noch auf knapp 24 Prozent. Schlusslicht bildet die AfD mit 11,5 Prozent. Im Schnitt sind dadurch 65 Prozent aller Bundestagsabgeordneten männlich.ii

Frauenquote als erster Schritt für mehr Gleichberechtigung

Eine verpflichtende Frauenquote ist auch eine wichtige politische Maßnahme, um reine Männerbünde, wie sie beispielsweise lange in den Vorstands- und Aufsichtsetagen deutscher Unternehmen existierten, zu zerschlagen. Nachdem es 2015 gelungen ist, eine Frauenquote von 30 Prozent in den Aufsichtsräten einzuführen, folgte 2021 auch eine Regelung für die Vorstände der wichtigsten deutschen Dax-Konzerne. Erstmals gibt es nun mehr deutsche Börsenunternehmen, die Frauen im Vorstand haben, als solche, deren Vorstände rein männlich sind. Das belegt die neue Studie der deutsch-schwedischen Allbright-Stiftung. Doch das täuscht nicht über die traurige Tatsache hinweg, dass die Unternehmen damit nur die Mindestanforderung erfüllen. 71 der 94 Unternehmen mit gemischten Teams im Topmanagement haben nur eine einzige Frau im Vorstand. Es gibt in Deutschland sogar mehr Vorstandsvorsitzende, die Christian heißen, als weibliche Vorstandsvorsitzende insgesamt. Der Anteil der Frauen liegt hier bei nur 2,5 Prozent.iii

Um wieder auf die Politik zurück zu kommen: Die berühmte Quotenfrau verändert so gut wie nichts an den Verhältnissen. Sie sorgt höchstens als Alibi für ein System, das grundsätzlich männlich geprägt ist, Männer strukturell bevorteilt und systematisch an die Entscheidungspositionen bringt. Wenn schon Quote, dann muss sie paritätisch sein – also 50 Prozent und nicht weniger. Aber nicht alle Frauen profitieren gleichermaßen von einer Frauenquote. Vor allem für Mütter, deren zeitliche Ressourcen besonders knapp sind, ist die Frage der politischen Partizipation keine, die sich mit einer Quote allein beantworten lässt. Brauchen wir also nicht eher eine Mütterquote?

Rahmenbedingungen schaffen, die Care-Arbeit berücksichtigen

Gerade weil wir in einem System leben, dass durchdrungen ist von männlichen Strukturen, ist die Frage berechtigt, ob eine Frauenquote allein reicht, um diese Strukturen zu durchbrechen. Frauen müssen ja überhaupt erst in die Lage versetzt werden, die Positionen in Politik und Wirtschaft zu erreichen. Im Zweifel profitieren nämlich sonst nur Frauen von der Quote, die nicht oder kaum in Familie und Sorgearbeit eingebunden sind. Dadurch bleiben die Aspekte und Erfahrungswelten, die sich besonders stark von denen der Männer unterscheidet, weiterhin außen vor. Die gesamte weibliche Perspektive fließt, trotz Frauenquote, somit nur zu einem kleinen Teil in die politische Entscheidungsfindung.

„Eine Frauenquote allein hilft Müttern nicht wirklich“, sagt auch Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI der Hans-Böckler-Stiftung, in unserem Buch „Mütter. Macht. Politik – Ein Aufruf!“. Ob Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren müssen, in wichtige Entscheidungspositionen kommen, hänge davon ab, welche Rahmenbedingungen sie dafür vorfänden. Mit dem Modell der „Führung in Teilzeit“ beispielsweise kämen Frauen und Mütter überhaupt erst in die Lage, Positionen zu erreichen, an denen sie wichtige Entscheidungen treffen können. Das werden wir aber nicht alles gesetzlich regeln können, so Kohlrausch im Gespräch. Gerade im Politikbetrieb brauche es vor allem eine Kultur, die Sorgearbeit konsequent mitdenke:

„Es gibt zum Beispiel Überlegungen in der Politik den freien Sonntag einzuführen. Das wäre für Politikerinnen mit kleinen Kindern sicherlich eine Entlastung. Oder dass sich der Ortsverein unter der Woche nicht erst abends um sieben trifft. Da bringen Eltern nämlich gerade ihre Kinder ins Bett. Am Ende ist es dann natürlich eine kulturelle Frage, ob Sorgearbeit selbstverständlich genauso mitgedacht wird wie Erwerbsarbeit. Die Besprechung des Ortsvereins findet ja gerade nicht mittwochs um zehn statt, weil da alle arbeiten. Wenn wir aber sagen, wir denken Fürsorgearbeit mit, schlägt sich das in vielen kleinen Entscheidungen nieder, die sich gar nicht alle gesetzgeberisch regeln lassen.“iv

In Strukturen also, die der Sorgearbeit keinen Raum geben, stoßen Frauen besonders im mittleren Alter an gläserne Decken. Letztlich ist die Frage nach Vereinbarkeit viel bedeutender für feministische Politik als eine Frauenquote.

Wer Vielfalt will, braucht eine „Mütterquote“

Wir brauchen also äußere Bedingungen, die es jeder talentierten Frau, unabhängig davon, ob sie sich gerade um Kinder oder Angehörige kümmert, ermöglichen, ein politisches Amt auszuüben. Wir brauchen gute und zuverlässige Betreuungsstrukturen und informelle Regeln, die Sorgearbeit umfassend berücksichtigen. Statt stillende Mütter aus dem Landtag zu werfen, wie 2018 in Thüringen tatsächlich geschehen, müssen wir Räume schaffen, die Frauen mit ihren Kindern nicht ausschließen. Nicht zuletzt käme das allen Menschen zugute, die auf Freiräume außerhalb der Kernarbeitszeiten angewiesen sind, also auch pflegenden Angehörigen oder Menschen mit irregulären Arbeitszeiten. Wir brauchen die Perspektive von Müttern in der Öffentlichkeit, um die Strukturen hin zu mehr Gleichberechtigung aufzubrechen. Im Grunde braucht es also eine Quote, die uns zwingt, die Rahmenbedingungen in den Gremien zu ändern und Politik nicht nur weiblicher, sondern tatsächlich offen für alle Menschen zu machen, auch für die, die täglich für andere sorgen.

Autorinnen

Sarah Zöllner, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen

Aura-Shirin Riedel, Soziologin und Journalistin

Initiative

www.muetter-macht-politik.de

Instagram: @muetter-macht-politik

FB: Mütter_Macht_Politik

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