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Wie Umweltschutz und Geschlechtergerechtigkeit zusammenhängen

Klimakrise und Umweltzerstörung – Das sind auch Krisen der Geschlechtergerechtigkeit. Denn: Ihre Folgen betreffen Frauen überproportional – und verstärken damit bereits bestehende Ungleichheiten. Ihre Erfahrungen, Bedarfe und Forderungen sollten daher im Mittelpunkt von Umweltdebatten stehen. Ein Beitrag von Lea Rahman zum World Environment Day am 5. Juni.

Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr. Im Alltag ist die Klimakrise längst spürbar und Unternehmen verpflichten sich immer mehr zum Umweltschutz und nachhaltigen Lösungen [1]. Der Klimawandel kann jedoch nicht unabhängig von gesellschaftlichen Dynamiken und Machtverhältnissen angegangen werden, da Umweltkrisen bestehende Diskriminierungen verstärken können. Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz müssen deshalb zusammengedacht werden.

Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheiten

Die Folgen von Umweltverschmutzung und Klimakrise betreffen zwar die gesamte Menschheit, doch sie betreffen nicht alle Menschen gleich. Bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten führen zu unterschiedlichen Voraussetzungen: Etwa welche Möglichkeiten zur Anpassung an Umweltveränderungen oder Extremwetterereignisse vorhanden sind und welche Umweltereignisse bewältigt werden können. So sind Menschen, die in ärmeren Regionen und Ländern leben, beispielsweise besonders stark von den Folgen der Klimakrise betroffen, da dort weniger Geld für Anpassungsmaßnahmen vorhanden ist [2]. Weil das strukturell häufiger BIPoC betrifft, wurde bereits in den 1990er-Jahren der Begriff des Umweltrassismus geprägt. Er verweist darauf, dass seit dem Kolonialismus rassistische Strukturen weiterhin wirken, etwa wenn BIPoC überdurchschnittlich von Umweltverschmutzung betroffen sind [3]. Umweltauswirkungen müssen deshalb immer in Verschränkung mit Diskriminierung und Armut betrachtet werden. Denn Umweltverschmutzung und Klimakrise wirken als große Verstärker bestehender gesellschaftlicher Ungleichheiten.

Mehrbelastung von Subsistenzbäuerinnen

Dass die Umweltbewegung weltweit von weiblich gelesenen Personen angeführt wird [4], ist kein Zufall. Denn global und gesellschaftsübergreifend gehören Frauen zu den Gruppen, die am stärksten von Umweltverschmutzungen und Klimakrise betroffenen sind. Insbesondere in Ländern des Globalen Südens leben Frauen häufig von der Subsistenzlandwirtschaft und versorgen sich und ihre Familie durch landwirtschaftliche Arbeit selbst. Kleinbäuer*innen produzieren in Asien und Afrika rund 80% der Lebensmittel [5], zählen jedoch meist zum ärmeren Bevölkerungsteil. Da Bäuer*innen existenziell darauf angewiesen sind, dass Ökosysteme funktionieren, können Wüstenbildung, Rückgang der Biodiversität, klimatische Veränderungen, Extremereignisse und Wasserverschmutzung bzw. -mangel für Kleinbäuer*innen den Verlust der Lebensgrundlage bedeuten. Die Alternativlosigkeit wird durch eigene Armut, fehlende Sicherheitsnetze und fehlende Infrastruktur in ärmeren Staaten verstärkt.

Intersektionalität auch in der Klimakrise

Die durch Armut, globale Ungleichheiten und häufig auch Rassismus bestehenden Marginalisierungen werden durch Diskriminierung aufgrund des Geschlechts intersektional verstärkt. Da Frauen traditionell häufiger ihre Familien mit Nahrung versorgen, bedeuten verschlechterte ökologische Grundlagen für sie Mehrarbeit. So müssen wegen Dürre oder Waldsterben längere Strecken zurückgelegt werden, um Wasser oder Brennholz zu besorgen. Die Belastung durch Mehrarbeit kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen und schränkt die Zeit für Bildung, Erwerbsarbeit oder politisches Engagement ein. Dadurch können sich bereits bestehende ökonomische und politische Benachteiligungen zusätzlich verstärken [6].

Umweltkrisen betreffen Frauen stärker

Zu Mehrarbeit führen außerdem Care-Arbeiten, die Frauen in der Folge von Umweltverschmutzung oder Extremereignissen übernehmen. Sie übernehmen die Pflege von Verletzten oder Kranken. Wirtschaftliche Benachteiligungen in Form von niedrigerem Einkommen und weniger Rücklagen führen dazu, dass Frauen bei Krisen allgemein stärker unter finanziellen Einbußen und wirtschaftlichen Schäden leiden als Männer [7].

Auch die Wahrscheinlichkeit, bei einer Naturkatastrophe zu sterben, ist bei Frauen rund 14-mal höher als bei Männern. Das liegt sowohl an sexistischer Infrastruktur als auch an Geschlechterrollen: Frauen werden später von Warnungen erreicht, sie können seltener schwimmen und tragen häufiger Verantwortung für Angehörige. Beim Tsunami 2004 in Asien waren deshalb 70% der Toten weiblich [7].

Gleichzeitig besteht in Krisensituationen ein höheres Risiko, körperliche und sexualisierte Gewalt zu erfahren. So ergaben Analysen, dass Frauen und Mädchen in Krisen häufiger über Online-Suchmaschinen nach Hilfe im Kontext von Gewalterfahrungen suchen [7]. Ähnliche Risiken birgt eine Flucht, die bei Zerstörung der Lebensgrundlagen oder des Heimatortes unvermeidlich werden kann.

Für einen geschlechtergerechten Umweltschutz

Das heißt: Klimakrise, Verlust der Biodiversität und Waldsterben verstärken intersektionale Ungleichheiten. Damit sind Umwelt- und Klimapolitik gleichsam feministische Themen und Handlungsfelder. Umgekehrt muss die Geschlechterperspektive auch in Umweltbewegungen, Umwelt- und Klimapolitik sowie Klimaanpassung einen festen Platz haben.

So dürfen Umweltschutzmaßnahmen Frauen in ihren Handlungsmöglichkeiten oder der reproduktiven Gerechtigkeit nicht weiter einschränken, wie es insbesondere in ökologischen Debatten des Globalen Nordens immer wieder diskutiert wird [8]. Wenn es etwa um Maßnahmen gegen das globale Bevölkerungswachstum geht, sollten Frauen nicht in ihrer Familienplanung beschränkt werden, sondern durch stärkere soziale Sicherungssysteme sowie niedrigschwelligen Zugang zu selbstbestimmter Verhütung und Schwangerschaftsabbrüchen die Unabhängigkeit und Wahlmöglichkeiten von Frauen erweitert werden.

Auch beim Umgang mit Klimafolgen wie zum Beispiel Extremwetterereignissen müssen die speziellen Bedürfnisse von Frauen beachtet werden, etwa indem zusätzliche Hilfsmaßnahmen und Schutzräume für sie gestellt werden. Eine umfassende Versorgung von Verletzten und die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung entlastet außerdem diejenigen, die Care-Arbeit leisten.

Feministische Gruppierungen des Globalen Südens und betroffene Frauen müssen gestärkt und aktiv in Entscheidungen miteinbezogen werden. In ländlichen Regionen kann beispielsweise das bisher allzu oft ignorierte Wissen von Frauen über die Entwicklung und Erhaltung der Biodiversität vor Ort eine Schlüsselrolle dabei einnehmen, um Frauen in politische Prozesse einzubinden und Umweltschutz sozial verträglich zu gestalten [9]. Grundlegend ist außerdem eine finanzielle Unterstützung von Projekten, die geschlechtergerechten Umweltschutz umsetzen, sowie von Frauen, die sich dafür engagieren.

Der World Environment Day

Spätestens seit 1972, der ersten Weltumweltkonferenz, ist Umweltschutz auf der internationalen politischen Bühne angekommen. Seitdem wird jährlich am 5. Juni der World Environment Day begangen, um das Thema als ein globales Dauerthema anzugehen.

Quellen

[1] Umweltbundesamt (2023): Weltweite Temperaturen und Extremwetterereignisse seit 2010. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/Klimakrise/weltweite-temperaturen-extremwetterereignisse-seit#Chronik

[2] Brinkmann, Tjade (2022): "Ein Albtraum, der im globalen Süden tägliche Realität ist". https://www.klimareporter.de/gesellschaft/ein-albtraum-der-im-globalen-sueden-taegliche-realitaet-ist

[3] Bullard, Robert D. (1993): Anatomy of Environmental Racism and the Environmental Justice Movement. In: Bullard, Robert D. (Hg.) (1993): Confronting environmental racism. Voices from the grassroots (S. 15-40). Boston: South End Press.

[4] Damm, Haidy (2020): Frauen in der Umweltbewegung: Dabei sein ist nicht alles. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1133890.frauen-in-der-umweltbewegung-dabei-sein-ist-nicht-alles.html; siehe auch Tagesspiegel (2022): Interaktive Grafik: A Female Fight fort he Future. https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/a-female-fight-for-the-future/

[5] Groier, Michael/ Machold, Ingrid/ Loibl, Elisabeth (2018): Landwirtschaftliche Kleinbetriebe zwischen regionaler Nachhaltigkeit und Globalisierung. Wien: Bundesanstalt für Bergbauernfragen, S. 9. https://bab.gv.at/jdownloads/Publikationen/Archiv/BABF/Forschungsberichte/fb71.pdf

[6] Agarwal, Bina (1997): Gender, Environment, and Poverty Interlinks: Regional Variations and Temporal Shifts in Rural India, 1971-91. World Development 25 (1), S. 23-52.

[7] UN Women (2022): Klima und Gender. https://unwomen.de/klima-und-gender/

[8] Gottschlich, Daniela/ Hackfort, Sarah/ Katz, Christine (2022): Feministische Politische Ökologie. In: Gottschlich, Daniela u.a. (Hg.): Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden. Bielefeld: transcript, S. 98.

[9] Shiva, Vandana (1992): Women's Indigenous Knowledge and Biodiversity Conservation. India International Centre Quarterly 19 (1/2), S. 205-214. https://www.jstor.org/stable/23002230

Veröffentlicht am: | Autorin : Lea Rahman

Autorin
Lea Rahman

Lea Rahman ist Expert im Projekt Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus".

Mehr über Lea Rahman.

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