Sprache macht Realität. Und die deutsche Sprache basiert auf einem binären System. Wie können wir unsere Sprache neu denken und trainieren? Auch in unserem Team müssen wir daran arbeiten, die so lange antrainierte binäre Sprache zu verändern. Aber wie geht das? Ein Blogbeitrag zum International Non-Binary Peoples Day.
Hinweis: Der Blogbeitrag ist aus einer nicht-betroffenen Perspektive geschrieben und es kann aus dieser Perspektive nur ein Plädoyer dafür sein, gendersensibel zu sprechen und zu handeln.
Beim Eurovision Song Contest 2024 gewann Nemo mit dem Song „The Code“. Nemo ist non-binär und ordnet sich keinem Geschlecht zu. Nemo benutzt die Pronomen they/them oder im deutschen am liebsten einfach Nemo [1].
Schon beim Schreiben dieser drei Sätze merke ich, wie schwer es mir fällt, eine Person in der Sprache nicht geschlechtlich zuzuordnen. Ob als sprachliches Mittel mal von „ihr“ oder „ihm“ zu schreiben, aber hauptsächlich schlicht und einfach, weil ich es gewohnt bin. Es fühlt sich für mich komisch an, es anders zu machen. Es hört sich für mich ungewohnt an, von „they“ zu sprechen. In der Berichterstattung über Nemo wurde betont, dass Nemo die erste nicht-binäre Person ist, die den ESC gewonnen hat, und welche Bedeutung das für die LGBTQI*-Community hat. Dennoch wurde Nemo in vielen Beiträgen misgendert, also so betitelt, dass es nicht Nemos geschlechtlicher Zuordnung entspricht. Und das manchmal sogar im gleichen Satz. Warum fällt vielen das so schwer? Und vor allem: Wie muss es für nicht-binäre Personen sein?
Was macht misgendern?
Die deutsche Sprache ist von zwei Geschlechtern geprägt. Und schließt daher diejenigen aus, die sich in der Zweigeschlechterordnung nicht wiederfinden. Ja genau, nicht-Binarität existiert in der deutschen Sprache nicht. Und deswegen liegt es an uns allen, unsere Sprache so zu verändern, dass sich das ändert. „Für nicht-binäre Personen ist unsere Sprache in vielerlei Hinsicht eine Fehlkonstruktion“, schreibt Lydia Meyer in dem Buch „Die Zukunft ist nicht binär“. Und so gibt es keine wirkliche Alternative zu „sie oder er“. Aber auch nur dann nicht, wenn – wie wir es automatisch tun oder tun wollen – der Person ein Geschlecht zugeordnet werden soll.
Mit dem falschen Pronomen angesprochen zu werden, macht nicht-Binarität und nicht-binäre Menschen unsichtbar. Personen können sich unwohl fühlen, übersehen und gestresst. Es ist verletzend. Wenn es oft passiert, ist es eine Form von Diskriminierung und Gewalt [2]. In einer Umgebung, in der Personen sich nicht outen möchten, müssen sie sich mit dem falschen Pronomen ansprechen lassen. Nicht-binäre Menschen sind aufgrund der deutschen Sprache eigentlich ständig dem ausgesetzt, sich mit dem Geschlecht zu befassen, darüber zu reden und zu erklären. Das kostet Kraft.
„Wenn wir uns eine sprachliche Existenz erarbeiten wollen, müssen wir ständig auffallen, andere korrigieren und immer wieder darauf hinweisen, dass wir nicht männlich oder weiblich, sondern nicht-binär sind. Damit riskieren wir auch jedes Mal aufs Neue, ausgelacht, nicht ernst genommen, für andere pedantisch oder übertrieben korrekt gehalten zu werden“ (Lydia Meyer, Die Zukunft ist nicht binär).
Und doch kann die Verantwortung, nicht-binäre Menschen auch in der Sprache sichtbar zu machen, nicht bei nicht-binären Personen liegen. Und Studien zeigen, dass genderneutrale Sprache zu weniger traditionellem Geschlechterdenken führt [3].
Gefällt mir jeder Name einer anderen Person? Und spreche ich die Person trotzdem mit ihrem Namen an und versuche diesen korrekt auszusprechen? Genau.
Unbewusste Denkmuster führen zu stereotypem Denken
Aber wieso fällt es mir überhaupt so schwer? Eine Erklärung dafür sind Biases, also unbewusste Denkmuster, die sich mein Gehirn durch Erziehung, Sozialisation, Gesellschaft angeeignet hat. Das Gehirn muss Abkürzungen machen, um die Komplexität der Welt fassen zu können. Es denkt in Systemen, Kategorien. Das führt aber auch dazu, dass wir unsere Erlebnisse in Schubladen einordnen, in Stereotypen. Im schlimmsten Fall führen diese zu Diskriminierung, etwa wenn Menschen mit nicht-deutschem Namen keine Wohnung angeboten bekommen oder Frauen nicht befördert werden. Unconscious-Bias Trainings können helfen, diese Stereotypen zu überwinden. Wenn ich nun eine nicht-binäre Person aufgrund der unbewussten Denkmuster und meinem gelernten Stereotypen weiblich lese, etwa aufgrund des Namens oder der Kleidung, ordne ich die Person auch automatisch einem Geschlecht zu. Gegen die eigenen Vorurteile aktiv anzugehen und bewusst darauf zu achten, Personen nicht automatisch einem Geschlecht zuzuordnen ist also ein wichtiger Schritt.
Sprache schafft Realität – Nicht-Binarität in der Sprache
Ja, ich mache es noch sehr oft falsch, bin unsicher oder habe Menschen unbedacht verletzt. Und auch das gehört zu dem Prozess. Ich muss Kritik einstecken, mich selbst aufmerksam reflektieren. „Lieber Fehler machen als sprachlos bleiben“, schreibt Lydia Meyer im Buch „Die Zukunft ist nicht binär“. Und gleichzeitig muss ich Menschen drauf hinweisen, wenn sie nicht-binäre Personen misgendern, und auch das kann manchmal schwierig sein. Vor allem zum Beispiel im Arbeitskontext, wenn man etwa einer Führungskraft Feedback geben müsste oder das in einer großen Gruppe der Fall wäre. Dennoch ist es hilfreich, dies in der Situation zu tun – zum einen, um die Person den Punkt an einem konkreten Beispiel zu erläutern und zum anderen, weil vielleicht einige Personen mithören und diese dann auch erreicht werden. Zum dritten ist es ein öffentliches Einsetzen für nicht-binäre Personen, die es vielleicht selber nicht tun wollen oder können. Dabei kann es helfen, sich an klassischen Feedback-Regeln zu orientieren: Das beobachtete Verhalten schildern („Mir ist aufgefallen, dass du die Person misgendert hast, denn (NAME) ist nicht-binär, aber du hast das Pronomen sie benutzt.“). Im zweiten Schritt kann die Wirkung und ein Wunsch erläutert werden („Ich kann mir vorstellen, dass (NAME) sich damit unwohl fühlt und ich würde mir wünschen, dass wir alle darauf achten, Menschen mit ihrem Wunschpronomen oder Namen anzusprechen“).
Es geht also mehr darum, gemeinsam einen Prozess der Veränderung zu gestalten, unsere sprachlichen Gewohnheiten, die sich Jahrhunderte gehalten haben, aufzubrechen. Und das kann man Üben. Es setzt allerdings voraus, dass man die Pronomen kennt, die alle Personen benutzen oder dass man weiß, wie die Menschen angesprochen werden wollen. Was kann man also tun, um Menschen nicht automatisch zuzuordnen, wenn man nicht über die Selbstzuschreibungen geredet hat?
- In Teamrunden/Gruppenvorstellungen einladen, die eigenen Pronomen zu nennen
- Neutrale Bezeichnungen nutzen, wie Lehrkräfte, moderierende Person, teilnehmende Person
- Binäre Ansprachen vermeiden und standardmäßig das Sternchen nutzen
- In der E-Mail Signatur einzuladen, das genutzte Pronomen mitzuteilen und das eigene Pronomen zu nennen
- In der schriftlichen Anrede weg von der geschlechtlichen Grußformel hin zu: Hallo Vorname Nachname
- Neopronomen bieten eine Möglichkeit, geschlechtsneutrale Ansprache: they, dey, xier
Nemo (musizierende Person) ist eine Schweizer Person, die durch ihre Musikkarriere bekannt wurde. So schreibt es übrigens Wikipedia.
Quellen
[1] https://www.instagram.com/p/Czg2tCzIoZZ/?utm_source=ig_web_copy_link
[3] Lydia Meyer, Die Zukunft ist nicht binär (Lydia Meyer beruft sich auf folgende Quellen: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1908156116; https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/gendergerechte-sprache-geschlechtsneutrales-personalpronomen-hen-wirkt-sich-positiv-aufs-denken-aus?