Sorgearbeit fair verteilen – Arbeitszeiten neu denken!

Wie lassen sich Arbeitszeiten gerechter gestalten? Ein neuer WSI-Beitrag, mitverfasst von EAF-Senior Expert Hanna Völkle, zeigt mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen: Es braucht jetzt sorgesensible und geschlechtergerechte Arbeitszeiten.

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Cover zu WSI-Kommentar: Sorgearbeit fair verteilen – Arbeitszeiten neu denken!

Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz – damit sind Union und SPD auf dem richtigen Weg. Allerdings braucht es nicht nur Geld, sondern auch Arbeit und rechtliche Rahmenbedingungen dafür. Hier zeigt das Sondierungspapier der Koalitionsverhandler*innen deutliche Schwächen, wie Dr. Yvonne Lott, Forscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Ricarda Scholz und Hanna Völkle in einer WSI-Kurzanalyse feststellen. Die Übereinkunft von Union und SPD enthalte keine Ansätze „zur sorgesensiblen und geschlechtergerechten Neugestaltung der Arbeitszeiten“. Im Gegenteil. Die Leidtragenden dürften vor allem Frauen sein – und der Fachkräftemangel wird so eher größer als kleiner, warnen die Forschenden.

Beispielsweise sieht das Papier – auf Initiative von CDU und CSU – mehr Möglichkeiten für sehr lange Arbeitstage vor, indem die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche erfasst werden soll. Zudem ist geplant, finanzielle Anreize für Mehrarbeit einzuführen. Sehr lange Arbeitszeiten schadeten jedoch nicht nur der Gesundheit, wie eine breite Forschungsliteratur zeigt, sondern auch der Gleichstellung, analysieren die Wissenschaftler*innen. Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt würden sich verschärfen. Denn während Frauen, insbesondere Mütter jüngerer Kinder, häufig ohnehin keinen Spielraum für längere Erwerbsarbeitszeiten haben, weil sie den Löwenanteil der Sorgearbeit schultern müssen, hätten Männer mit steuerlich geförderten Überstunden noch weniger Zeit für die Familie.

Die Pläne im Sondierungspapier belasten Partnerschaften und Familien. Sie erschweren eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, so die Forschenden. Die geplante Steuerbefreiung von Überstunden dürfte hauptsächlich Vollzeitbeschäftigten zugutekommen und Teilzeitkräfte, also gerade Frauen, benachteiligen. Dies könne den Gender Pay Gap vergrößern.

Außerdem sind die Maßnahmen, die das Sondierungspapier vorsieht, auch geeignet, die Demokratie weiter zu schwächen, analysieren Lott, Mückenberger, Scholz und Völkle. Umfragen des WSI belegen, dass viele Beschäftigte bereits heute zu wenig Zeit für politisches oder gesellschaftliches Engagement haben. Nur ein gutes Drittel der Erwerbstätigen ist im gewünschten Maß aktiv, unter erwerbstätigen Müttern sogar lediglich 20 Prozent. Eine funktionierende Demokratie brauche aber Demokratinnen und Demokraten, die Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung aufbringen.

Das Arbeitszeitgesetz dürfe daher nicht aufgeweicht, sondern müsse gestärkt werden, so Lott, Mückenberger, Scholz und Völkle. Tarifliche Regelungen sorgten zwar für bessere Arbeitsbedingungen, sie erreichten aber nicht alle Beschäftigten. Für ein zeitgemäßes Arbeitszeitrecht empfiehlt die Expert*innengruppe vier wesentliche Maßnahmen:

  • Einführung einer zehntägigen bezahlten Freistellung von Vätern und zweiter Elternteile nach der Geburt, wie es die einschlägige EU-Richtlinie vorsieht,
  • Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld,
  • Reform des Brückenteilzeitgesetzes, damit mehr Beschäftigte es nutzen können,
  • Einführung einer steuerfinanzierten Entgeltersatzleistung für pflegende Angehörige.

Weiterhin plädieren die Forschenden für ein Wahlarbeitszeitgesetz, wie es der Deutsche Juristinnenbund vorgeschlagen hat, beziehungsweise die Umsetzung eines Optionszeitenmodells, „das zeitliche Ziehungsrechte nicht nur für Kinderbetreuung, Pflege und Weiterbildung vorsieht, sondern auch für ehrenamtliches Engagement“.

„Wenn es gewünscht ist, dass Frauen – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – mehr Erwerbsarbeit leisten, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die dazu beitragen, dass Sorgearbeit fairer zwischen den Geschlechtern verteilt wird. Die angekündigten Maßnahmen weisen allerdings in die entgegengesetzte Richtung“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Sie schaffen Anreize für Männer, ihre Arbeitszeit weiter auszuweiten, was die zeitlichen Spielräume für eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit verringert.“ 

Download

Hier geht's zum Kommentar: https://www.wsi.de/fpdf/HBS-009096/p_wsi_kommentar_6_2025.pdf

Mehr Informationen

Der Kommentar: "Sorgesensible und geschlechtergerechte Arbeitszeiten. Jetzt!" wurde von den Autor*innen Yvonne Lott, Ulrich Mückenberger, Ricarda Scholz, Hanna Völkle (EAF Berlin) verfasst und vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung herausgegeben.

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