Eingeladen nach Berlin waren mehr als 3.400 internationale Teilnehmer*innen aus Regierungen, internationalen Organisationen, Finanzinstituten, Wirtschaftsunternehmen, Regional- und Gemeindevertreter*innen und NGOs. Und wenn auch die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte auf der Konferenz vom 11. bis 12. Juni nicht im Fokus standen, waren sie doch mehr denn je auf einer URC präsent. Denn egal, ob es um den wirtschaftlichen Aufbau des Landes, die Wiederherstellung des Arbeitsmarktes und die Entwicklung des „Humankapitals“ oder die Stärkung der Regionen und Gemeinden geht: Frauen spielen in allen Bereichen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Gründerinnen-Zeit
Mehr als die Hälfte neuer Unternehmen in der Ukraine werden von Frauen gegründet – in der Regel mit kleineren Krediten als Männer. Dafür zahlen die Gründerinnen zuverlässiger zurück, ihre Geschäfte sind nachhaltiger und schaffen zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze. In Frauen zu investieren, warb eine Wirtschaftsvertreterin, sei daher ein lukratives Geschäft: „Sie können viel Geld damit verdienen.“
Über vier Millionen Ukrainer*innen halten sich derzeit im Ausland auf. Die meisten sind Frauen, in Deutschland machen sie mehr als drei Viertel der als geflüchtet Registrierten aus. Diese Arbeitskräfte werden in ihrer Heimat dringend benötigt und sollen zurückgeholt werden. Dafür fordern Rückkehrerinnen aber Sicherheiten, zunächst für Leib und Leben, außerdem eine Wohnung, medizinische Versorgung, Kinderbetreuung und eine Erwerbsarbeit, mit der sie die Familie auch als Alleinernährerin durchbringen können.
Frauen in Männerberufe
Über eine Million Ukrainer*innen sind an der Front, mehr als Dreiviertel von ihnen Männer. Ihre zivilen Arbeitsplätze sind vakant; es werden dringend Frauen gesucht, die sie ersetzen können. Aber der Arbeitsmarkt ist auch in der Ukraine stark geschlechtersegregiert. Vor allem im technischen Bereich müssen Weiterbildungen und Umschulungen entwickelt werden, die Frauen in gebotener Kürze für diese Tätigkeiten qualifizieren.
Gelöst werden muss auch das Problem der Doppel- und Dreifachbelastung in Familien, wenn der Mann an der Front ist und auf der Frau die ganze Sorge- und Erwerbsarbeit lastet. Beunruhigend ist außerdem die wachsende geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt.
Kommunen und Gemeinden ertüchtigen
Die Stärkung regionaler und lokaler Strukturen ist ein wesentliches Ziel des Wiederaufbaus der Ukraine. Denn für eine demokratische Entwicklung des Landes scheint es unerlässlich, dass politische und wirtschaftliche Entscheidungen nicht allein von der Zentralregierung getroffen werden. Vielmehr sollen Kommunen und Gemeinden von den Wiederaufbauhilfen stärker direkt profitieren; sie müssen in in Sachen Selbstbestimmung ertüchtigt werden. Viele vor allem kleine Kommunen und Gemeinden werden kriegsbedingt aktuell von Bürgermeisterinnen oder Verwalterinnen geleitet. Wie kann es gelingen, dass diese nach dem Krieg nicht aus ihrer Führungsverantwortung entlassen werden?
Allianz für geschlechtergerechten Wiederaufbau
Diese und andere Fragen kamen bei der URC und zahlreichen Side Events zur Sprache. Deutlich wurde auch, dass die Ukraine in ihren Bemühungen um einen EU-Beitritt bereits eine Reihe von geschlechterpolitischen Reformen eingeleitet hat – und das Potenzial der Agent*innen des Wandels erheblich ist. Dieses gilt es zu fördern. Und dafür wurde am Ende der Konferenz auch eine „Alliance for Gender-responsive and inclusive Recovery“ (Allianz für einen geschlechtergerechten Wiederaufbau) ausgerufen. Sie umfasst aktuell 15 Regierungen, bedeutende internationale Finanzinstitutionen, UN-Organisationen und zahlreiche Partner*innen aus Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft. „Gemeinsam stärker“ hieß ein Teil des URC-Mottos. Die 46 Mio Euro, die die neue Allianz in Aussicht gestellt hat, sollen einen Beitrag dafür leisten. Wie es zu dieser Allianz kam und welche Ziele sie sich gesteckt hat, darüber gab Kateryna Levchenko, die Nationale Gleichstellungsbeauftragte der ukrainischen Regierung, in einem Gespräch mit der EAF Auskunft.