Frau Levchenko, hat sich die Wiederaufbaukonferenz in Berlin für Sie gelohnt?
Auf jeden Fall. Ich war zum ersten Mal auf einer solchen Konferenz und bin beeindruckt von der professionellen Organisation. Zufrieden bin ich auch, dass das Thema geschlechtergerechter Wiederaufbau der Ukraine zentral vertreten war und nicht nur in Side Events verhandelt wurde. Das ist ein großer Fortschritt seit Lugano, wo 2022 die erste dieser Konferenzen stattgefunden hat. Dort wurde Geschlechtergerechtigkeit als ein Prinzip für den Wiederaufbau der Ukraine zwar bereits gefordert, und 2023 in London die Plattform für Gender Mainstreaming und Inklusion und einen Beirat aus Frauenorganisationen der Zivilgesellschaft ins Leben gerufen. Nur, weil wir mit vereinten Kräften darauf gedrungen haben, dass die Geschlechterperspektive zwingend im Wiederaufbau berücksichtigt werden muss, haben wir nun auf der URC in Berlin die Gründung der „Allianz für geschlechtergerechten Wiederaufbau“ (Alliance for Gender-responsive and inclusive Recovery) in so prominenter Besetzung bekanntgeben können.
Wer steckt hinter dieser Allianz?
Ursprünglich ging die Initiative von der ukrainischen Regierung aus. Sie fand schnell prominente Fürsprecherinnen, wie zum Beispiel in Hillary Clinton, in Mary Robinson, der ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und irischen Staatspräsidentin oder in Melanne Verveer, der ehemaligen US-Botschafterin für Geschlechterfragen. Hinzu kamen starke Unterstützerinnen in der deutschen Bundesregierung und bei UN Women. In die Praxis umgesetzt wurde die Idee unter Federführung von Bundesministerin Svenja Schulze und der ukrainischen Vize-Premierministerin für europäische und transatlantische Integration, Olga Stefanishina. Beteiligt waren außer mir auch andere internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wir nutzten die internationale Bühne wie die 68. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission (CSW) und den UN-Menschenrechtsrat für unser Anliegen. Aktuell umfasst die Allianz 15 Regierungen, wichtige internationale Geldgeber, UN-Agenturen, zivilgesellschaftliche Organisationen und den privatwirtschaftlichen Bereich.
Beeindruckend. Und welche Ziele hat sich die Allianz gesteckt?
Finanziell und technisch gefördert werden sollen sowohl Projekte, die Geschlechtergleichstellung vorantreiben und Frauen und Mädchen schützen als auch von Frauen geführte und feministische NGOs. Ein weiteres Hauptziel ist, dass alle Budgets und Ressourcen für den Wiederaufbau unter einer Geschlechterperspektive analysiert und entsprechend verteilt werden. Dieser Vergabeprozess kann z.B. mit Hilfe des DAC gender equality policy marker der OECD überwacht werden.
Dafür will die Allianz in einer ersten Runde 46 Mio Euro zur Verfügung stellen?
Ja, so wurde es auf der Konferenz verkündet. Die neue Allianz stärkt uns, die ukrainische Regierung, auf jeden Fall den Rücken bei weiteren Verhandlungen auf internationalem Parkett. Sie ist eine Plattform für alle, die Frauen in Führungspositionen fördern und die Gleichstellung vorantreiben wollen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Ziele, die sich die Allianz gesteckt hat, auch tatsächlich umgesetzt werden. Wir erwarten, dass über die Fortschritte z.B. auf der nächsten CSW 2025 in New York Rechenschaft abgelegt wird.
Auf der URC in Berlin ging es vor allem um ökonomische Aspekte des Wiederaufbaus. Auch mit Blick auf Frauen. Weniger thematisiert wurde deren Teilhabe am politischen Gestaltungs- und Entscheidungsprozess. Für die EAF ist das politische Empowerment von Frauen eine Kernaufgabe - auch in unseren deutsch-ukrainischen Kooperationsprojekten „Gemeinsam für Demokratie“ und „She can“. Wie relevant ist das Thema für Sie?
Ich halte solche Kooperationsprojekte zur Förderung von Frauen in Führungspositionen, und zwar auf allen Ebenen und in allen Bereichen, für äußerst notwendig. Die EAF sollt daher solche Projekte mit Ihren ukrainischen Partnerinnen unbedingt fortzusetzen und darüber mit Ihrer Regierung ins Gespräch kommen. Als Nationale Gleichstellungsbeauftragte bin ich gern bereit, Teil dieser Initiative zu werden. Auch dafür können die Mittel der Allianz eingesetzt werden.
Wird die weibliche Zivilgesellschaft in der Ukraine stark genug sein, um eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse nach dem Krieg zu verhindern?
Das wird sich zeigen. Fakt ist, das die Zivilgesellschaft in der Ukraine stark ist und weit in die politischen Institutionen hineinwirkt. Es gibt eine funktionierende Kommunikation zwischen diesen beiden Bereichen. Meine Wurzeln liegen selbst in der Zivilgesellschaft.
Dr. Kateryna Levchenko, promovierte Juristin, ist die Nationale Gleichstellungsbeauftragte der ukrainischen Regierung. Sie ist seit vielen Jahren in Frauenrechtsorganisationen aktiv und u.a. Gründerin und Mitglied der 1997 ins Leben gerufenen Menschenrechtsorganisation La Strada-Ukraine.