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"Die Sichtbarkeit geouteter Führungskräfte ist so wichtig."

EAF-Vorstandsmitglied Jessica Gedamu spricht anlässlich des Lesbian Visibility Day über die Bedeutung politischer Anerkennung und queere Familienstrukturen.

Seit dem Jahr 2008 wird der Lesbian Visibility Day jedes Jahr weltweit am 26. April begangen. An diesem Tag werden lesbische Frauen gefeiert, lesbische Kultur und Vielfalt gewürdigt, aber auch auf noch bestehende Ungleichheitsdimensionen und Diskriminierungsmechanismen aufmerksam gemacht.

Anlässlich des internationalen Lesbian Visibility Days führen wir heute ein Interview mit der Diversity und Inclusion-Expertin Jessica Gedamu. Sie arbeitet als Global Director Diversity and Inclusion für Springer Nature. In dieser Rolle entwickelt und implementiert sie die globale Diversity- und Inclusion-Strategie des führenden globalen Wissenschafts-, Bildungs- und Fachverlags. Zudem war Jessica Gedamu von 2011 bis 2017 in verschiedenen Rollen für die EAF Berlin tätig, zuletzt als Director mit Verantwortung für die Bereiche Organisationsentwicklung und Unternehmenskunden. Sie engagiert sich zudem ehrenamtlich bei der Initiative nodoption für die Anerkennung der Realitäten queerer Familien.

Heute ist der Lesbian Visibility Day, der Tag, der lesbische Sichtbarkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken soll. Welche Themen sind dir heute besonders wichtig?

Mir ist wichtig, dass lesbische Frauen, genau wie andere nicht-schwule Identitäten, mehr Sichtbarkeit innerhalb der LGBT*IQ Community und unserer Gesellschaft bekommen. Denn so wie sich strukturelle Diskriminierung negativ auf Frauen auswirkt, sind lesbische Frauen davon gleich mehrfach betroffen – lesbische Trans*Frauen und Frauen of Color umso mehr. Mehr Sichtbarkeit heißt zum Beispiel, dass Interviews, Panels, Bilder, Geschichten und Geschichtsschreibung die Vielfalt der LGBT*IQ-Community darstellen. Dass die Lebenssituationen und intersektional verschränkten Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen mitgedacht werden und dass nicht die Gruppe, die am lautesten schreit, am besten organisiert und am vergleichsweise privilegiertesten ist, den meisten Zugang zu Ressourcen hat. Wir brauchen diesen Tag, damit Lesben und Frauen in der LGBT*IQ Community nicht an 364 Tagen im Jahr mehrheitlich unsichtbar sind. Um das zu ändern, braucht es Umdenken und inklusives Handeln, gesellschaftlich und innerhalb der LGBT*IQ-Community.

Du arbeitest bei Springer Nature als Global Director in den Bereichen Diversity & Inclusion und wurdest in dieser Funktion unter die 100 erfolgreichsten, geouteten Führungskräfte in Deutschland gewählt. Welche Rolle hat dein Coming-Out in deinem Karriereweg gespielt?

In der Realität gibt es ja nicht das eine Coming-out, sondern eigentlich macht man das ja immer und immer wieder. Grundsätzlich wird meistens angenommen, dass ich hetero bin – lesbische (Un)Sichtbarkeit und Heteronormativität gehen hier Hand in Hand und führen dazu, dass Menschen von Heterosexualität als Standard ausgehen. Zu Beginn meiner Karriere hatte ich jedoch einen Job, in dem ich nicht geoutet war, weil ich unsicher war, wie im Unternehmen damit umgegangen würde. Das war anstrengend und irgendwann auch belastend, weil das Verstecken und Informationen filtern viel Energie gekostet hat. Danach bin ich damit offensiv umgegangen und erwähne in neuen Arbeitssituationen oft bewusst beiläufig meine Frau oder mein Queersein in ersten Gesprächen. Aus diesem Grund finde ich aber auch die Sichtbarkeit geouteter Führungskräfte so wichtig, denn das signalisiert ein offenes Umfeld und ermutigt auch andere, selbstverständlich mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen. Seitdem ich ein Kind habe, ist das für mich auch noch mal stärker in den Fokus gerückt: meine Elternschaft konfrontiert mich immer wieder mit der Diskriminierung, der queere Familien nach wie vor ausgesetzt sind, und da würde ich mir viel mehr sichtbare Vorbilder wünschen. Um sich auszutauschen, zu organisieren und deutlich zu machen, dass Familien vielfältig sind.

Toll wiederum finde ich, dass ich in meiner Rolle als Director Global Diversity, Equity and Inclusion für Springer Nature aktiv zu LGBT*IQ Inclusion beitragen kann. Das beinhaltet z.B. die Unterstützung und den Aufbau unseres globalen LGBT*IQ Netzwerks Springer Nature Pride, das inzwischen Chapter in London, Berlin, Heidelberg, New York und Indien hat. Es umfasst aber auch die Gleichstellung von LGBT*IQ in allen Bereichen des Unternehmens - sei es durch die Herausgabe eines LGBT+ Basics Guides, die Inklusion von Pronomen in Signaturen und Personaldatenbanken, Einführung von inklusiver Sprache oder durch Events zu Themen wie Allyship und vieles mehr.

Auch das Privatleben lesbischer Frauen soll am Lesbian Visibility Day thematisiert werden. Du setzt dich bei der der deutschlandweiten Initiative nodoption für queere Familien ein und forderst die Anerkennung beider Elternteile als Eltern ab der Geburt eines Kindes. Wie genau geht ihr dabei vor?

Bei nodoption haben sich Familien zusammengeschlossen, die eine Reform des Abstammungsrechts fordern. Denn Regenbogenfamilien werden im Abstammungsrecht noch immer diskriminiert. Wenn ein Kind in eine Ehe aus Mann und Frau geboren wird, wird der Mann automatisch als Vater in die Geburtsurkunde eingetragen. Bei unverheirateten Paaren können Männer die Vaterschaft anerkennen. Partner*innen mit einem weiblichen, mit dem Geschlechtseintrag „divers“ oder ohne Geschlechtseintrag wird beides aktuell verwehrt. Stattdessen wird nur die Person, die das Kind zur Welt bringt, als Mutter eingetragen und gilt rechtlich als alleinerziehend. Das gilt auch für meine Familie. Bei der aktuell vorgesehenen Stiefkindadoption muss die zweite Mutter oder der zweite Elternteil das eigene Kind adoptieren. Mit nodoption wehren wir uns mittels strategischer Prozessführung dagegen. Konkret bedeutet das, dass wir beim Familiengericht Anträge auf Feststellung des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses eingereicht haben. Wenn ein Fall vom Familiengericht zurückgewiesen wird, erheben wir in der nächsten Instanz Beschwerde. Bei einer ablehnenden Entscheidung der zweiten Instanz könnte dann Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Allerdings haben im April zwei Gerichte der zweiten Instanz entschieden, dass sie das Abstammungsrecht für verfassungswidrig halten und die beiden Fälle dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ein toller Etappensieg für nodoption!

Wie du schon angesprochen hast, konnten in den letzten Wochen zwei Paare in diesem Zusammenhang juristische Erfolge erzielen. Das Oberlandesgericht Celle hält es für verfassungswidrig, dass bei Zwei-Mütter-Familien nicht automatisch beide Ehepartnerinnen als Mütter in die Geburtsurkunde eingetragen werden. Diese Frage wird nun vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklärt. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass das Gericht eine Neureglung des Abstammungsrechts anordnet?

Ich hoffe sehr wahrscheinlich! Aber tatsächlich kann ich das natürlich auch nicht sagen, zumal die Entscheidung leider auch gut zwei bis drei Jahre auf sich warten lassen kann. Es ist sicher positiv, dass dem Verfassungsgericht nun bereits zwei Fälle vorgelegt wurden, die in niedrigeren Instanzen als verfassungswidrig erachtet wurden. Wenn hier weitere Fälle dazu kommen, erhöht dies sicher die Sichtbarkeit und den Druck. Dies gilt besonders für familiäre Konstellationen, die sich von den aktuellen Fällen – verheiratete lesbische Cis-Frauen – unterscheiden. Je mehr verschiedene Konstellationen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, z.B. unverheiratete Paare, Konstellationen mit einer privaten Samenspende, Menschen mit Geschlechtseintrag "divers" oder Mehrelternkonstellationen, desto wahrscheinlicher ist eine weiterreichende Reformierung.

Veröffentlicht am: | Autorin : Jessica Gedamu

Autorin
Jessica Gedamu

Jessica Gedamu arbeitet als Global Director Diversity and Inclusion für Springer Nature.

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