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Welchen Einfluss hat das Selbstbestimmungsgesetz auf unsere Programme zur Chancengleichheit von Frauen?

Die Gleichstellung der Geschlechter ist immer noch nicht erreicht. Mit unseren Programmen haben wir zum Ziel, das zu ändern. Sie richten sich an Frauen – an alle, die sich als solche identifizieren. Was heißt das konkret? Und wie planen wir, den Zugang für queere Menschen, insbesondere trans* und nicht-binäre Menschen zu verbessern? Ein Diskussionsbeitrag der EAF Berlin

Die Frauenbewegung: Unvollendete Erfolgsgeschichte?

Die Hälfte des Himmels ­– nicht mehr und nicht weniger, das fordert die Frauenbewegung seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert.

Und sie hat viel erreicht: Die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts, umfassende Bildungsmöglichkeiten, Gleichberechtigung in der Verfassung, den Aufbau umfassender aushäusiger Kinderbetreuungsmöglichkeiten, straffreie Schwangerschaftsabbrüche, die Gründung von Schutzstellen für von Gewalt betroffene Frauen, die Reform des Ehe- und Familienrechts, die Entwicklung von Frauen- und Geschlechterforschung, die institutionelle Verankerung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten: das sind nur einige Beispiele in der bewegten und vielfältigen Geschichte der Frauenbewegung.

Und doch ist die Gleichstellung von Frauen und Männern unvollendet geblieben. In keinem deutschen Parlament – egal ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene gab es je eine paritätische Verteilung zwischen Frauen und Männern. Der Europarat sprach im vergangenen Jahr eine Rüge gegenüber der deutschen Regierung aus, weil diese die 2018 ratifizierte Istanbul-Konvention, das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt nicht ausreichend umsetzt: Die Strukturen für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen sind unzureichend. In Führungspositionen in der Wirtschaft sind Frauen bis heute eklatant unterrepräsentiert. Der Gender Pay Gap ist seit Jahrzehnten konstant, bewegt sich mal 1–2 Prozentpunkte in die eine oder andere Richtung und liegt momentan bei 18 Prozent. Zwar ist die Frauenerwerbsbeteiligung insgesamt auf ein Rekordhoch gestiegen, doch 66 % der Mütter und 35 % der Frauen ohne Kinder arbeiten in Teilzeit, so dass ihre Alterssicherung nicht gewährleistet ist. Auch unser Steuerrecht ist veraltet und bevorteilt traditionelle Familienernährermodelle. Das alles ist seit Jahren bekannt, doch es passiert nur wenig.

Programme und Schutzkonzepte für Frauen sind wichtiger Baustein

Die Lehre, die es daraus zu ziehen gilt: Machtverhältnisse im Rahmen demokratischer Prozesse zu verändern, ist ein langwieriges Unterfangen. Feministinnen fehlen häufig die Ressourcen für effektive Lobbyarbeit: Monetäre Ressourcen, aber auch Verbündete in entsprechenden Positionen. Auch heute noch sind Geschlechterstereotype in vielen Köpfen verankert, führen zu (auch internalisiertem) Sexismus, verhindern Gleichstellung und fördern Gewalt.

Deswegen sind Programme, die sich explizit an Frauen richten, nach wie vor ein wichtiger Baustein, um das im Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes verbriefte Recht der Gleichberechtigung auch in die Realität zu überführen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Zwei Geschlechter reichen nicht

Doch seit der Verabschiedung des Grundgesetzes vor nunmehr knapp 74 Jahren, haben sich unsere Vorstellungen und unser Wissen über Geschlechter gewandelt. Gegen das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit von Frauen und Männern, unter denen es diesen „Himmel“ hälftig aufzuteilen gilt, spricht einiges: Schon immer gab es Menschen, die der rigiden zweigeschlechtlichen Norm sowohl auf körperlicher als auch kultureller Ebene nicht entsprachen: inter* Personen, Menschen mit einer körperlichen Varianz der Geschlechtsentwicklung und trans* Personen: Menschen, die sich nicht mit dem ihnen bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren sowie nichtbinäre Personen, die sich nicht in binären Geschlechtszuschreibungen verorten.

Nicht nur cis Frauen ­– cis ist das Pendant zu trans* und bezeichnet Personen, bei denen das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht und die Geschlechtsidentität übereinstimmen - sind Diskriminierungen ausgesetzt. Menschen, die nicht in die zweigeschlechtliche kulturelle Norm passen, machen zahlreiche strukturelle Diskriminierungserfahrungen, darunter massive Gewalt und Ausgrenzung, in Medizin und Psychotherapie, innerhalb von Beziehungen und Familien, im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz.

Einige Beispiele: inter* Personen wird nicht selten als Kleinkindern in einer geschlechtsvereindeutlichenden OP die Möglichkeit genommen, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen – mit gravierenden psychischen Folgen. Erst seit 2017 gibt es die Möglichkeit, dass inter* Personen sich mit dem Geschlechtseintrag „divers“ im Amtsregister eintragen können und keine geschlechtszuweisenden operativen Maßnahmen vornehmen lassen müssen.

Erst seit 1981, mit der Einführung des Transsexuellengesetzes (TSG), erkennt der Staat die Existenz von trans* Personen überhaupt an. Jedoch war und ist die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag im Personenstand zu ändern, mit großen Hürden verbunden. Unter anderem bis 2011 mit Zwangssterilisierung! Aktuell müssen trans* Personen noch immer ein aufwändiges Verfahren durchlaufen und u.a. mit zwei Gutachten ihre trans* Identität offiziell bewerten lassen. Auch in der Arbeitswelt werden trans* und nichtbinäre Personen massiv diskriminiert: Die Erwerbslosigkeit ist sehr hoch!

Die rigiden Auflagen für trans* Personen im Transsexuellengesetz haben sich als Einfallstor für Diskriminierung erwiesen. Seit mindestens 20 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder einzelne Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt, weil die Rechte und die Würde von transgeschlechtlichen Menschen verletzt wurden. Denn die Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrags sind immer noch enorm und führten in der Praxis teilweise zu Zwangsouting und Gewalt, u.a. dadurch, dass bei vielen trans* Personen die eigene, im Alltag gelebte geschlechtliche Identität nicht mit dem amtlichen Eintrag im Ausweis übereinstimmt. Überall dort, wo sie den Ausweis zeigen müssen, setzen sie sich der Gefahr von Anfeindungen und Ausschlüssen aus.

Selbstbestimmungsgesetz soll Rechte von trans* Personen stärken

Die Ampel-Koalition hat daher beschlossen – wie bisher 12 andere Staaten auch­ – die gesetzlich verankerte Diskriminierung von trans* Personen zu beenden. Ein Selbstbestimmungsgesetz soll die Rechte von trans* Personen stärken und ermöglichen, auch ohne Begutachtung den Geschlechtseintrag zu ändern. Die großen institutionalisierten Frauenorganisationen sprechen sich dafür aus, darunter der Deutsche Frauenrat, der 60 Frauenorganisationen repräsentiert, der Deutsche Juristinnenbund, der Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen und der Verein Frauenhauskoordinierung, der Pro Familia Bundesverband oder der Verein Evangelische Frauen in Deutschland, der 40 evangelische Frauenorganisationen präsentiert. Auch die Istanbul-Konvention schließt explizit trans* Frauen mit ein.

Öffentliche Diskussion spielt cis Frauen gegen trans* Personen aus

Trotz dieser Unterstützung durch feministische und Frauenrechtsorganisationen entsteht in der öffentlichen Debatte mitunter der Eindruck, als seien mit dem Selbstbestimmungsgesetz Frauenrechte in Deutschland massiv in Gefahr. Eine kleine Gruppe von Frauenrechtlerinnen, hat eine populistische Kampagne ins Leben gerufen. Ihr Argument: Errungenschaften der Frauenbewegung stünden auf dem Spiel, z.B. ein Recht auf „Datenerhebung über geschlechtsspezifische Unterschiede“ oder ein Recht auf „Bildungsprogramme für Frauen außerhalb der Anwesenheit von Männern“. Argumentiert wird mit Behauptungen, cis Männer würden sich als trans* Frauen ausgeben, um Straftaten gegenüber cis Frauen zu begehen oder von Frauenquoten zu profitieren. Ängste werden geschürt oder spektakuläre Einzelfällen als Beleg genannt. Es entsteht mitunter der Eindruck, als würde gar Art. 3 Abs. 2 im Grundgesetz durch das Selbstbestimmungsgesetz ausgehebelt werden, was schlicht falsch ist.

Unsere Angebote richten sich an alle Frauen

Die EAF Berlin engagiert sich für Parität in den Parlamenten sowie die Förderung von Frauen in der Politik, insbesondere der Kommunalpolitik. Wir führen Studien durch, die die Situation von Frauen in der Politik beleuchten und sind Projektträgerin von Programmen wie dem Aktionsprogramm Kommune und dem Helene Weber-Kolleg.

Welche Auswirkungen hat das Selbstbestimmungsgesetz auf unsere Arbeit?

Zunächst einmal: keine. Denn klar ist: Jede Person, die sich als Frau identifiziert, ist eine Frau. Die Diskriminierung von trans* Personen muss aufhören. Dazu wollen auch wir mit unserer Arbeit einen Teil beitragen. Und deswegen unsere Arbeit kritisch hinterfragen, dazulernen und inklusiver werden.

Die Angebote der EAF Berlin richten sich an alle Frauen und damit auch an trans* Frauen. Auch bisher beruhte die Teilnahme an den Programmen in Bezug auf das Geschlecht ausschließlich auf Selbstauskunft. Kandidatinnen für unsere Programme werden anhand von Kriterien wie Engagement und Potenzial ausgewählt, nicht aufgrund ihres Geschlechtseintrags im Personalausweis. In unseren anonymisierten Umfragen zur Situation von „Frauen in der Politik“ gab und gibt es vier Möglichkeiten, den Personenstand entsprechend nach Selbstauskunft (weiblich/männlich/divers/offen) anzugeben. Wir arbeiten daran, diese Möglichkeiten zu erweitern.

In qualitativen Umfragen haben wir bereits in den vergangenen Jahren – da, wo es möglich war ­– vielfältige Perspektiven von Frauen eingebunden: Etwa Frauen mit Einwanderungsgeschichte oder eben trans* Frauen. Das wird sich durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht ändern.

Ängste, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sei, Daten zur Situation von Frauen in der Politik, zu erheben oder Programme für diese Zielgruppe durchzuführen, können wir aus den oben genannten Gründen nicht nachvollziehen. Auch Frauenquoten werden nicht abgeschafft oder ausgehebelt.

Eine Möglichkeit, wie Quoten mehr als zwei Geschlechter berücksichtigen können, zeigten zum Beispiel die Paritätsgesetze in Thüringen und Brandenburg, die Regelungen für inter* Personen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ vorsahen.

Und wenn es tatsächlich missbräuchliches Verhalten durch Männer geben sollte, die sich als trans* Frauen ausgeben, dann gibt es hier Möglichkeiten, dies zu unterbinden, wie zuletzt das Bundesschiedsgericht von Bündnis 90/Die Grünen gezeigt hat: Hier hatte sich ein Mann in einem städtischen Kreisverband mit der Behauptung, er sei eine Frau, Zugang zu einem Frauenplatz verschaffen wollen. Frauenquotierungen sind im Frauenstatut von Bündnis 90 / Die Grünen seit 1981 verankert. Unter dem Begriff „Frau“ werden hier ohnehin schon alle erfasst, die sich so definieren. Der Kreisverband ließ die Kandidatur nicht zu, es handele sich um einen bekannten Kritiker der Frauenrechte bei den Grünen. Das Bundesschiedsgericht der Grünen gab dem Kreisverband recht: Die Selbstdefinition als Frau müsse „eindeutig, nicht selektiv und nicht nur vorübergehend“ sein. Es genüge nicht, dass jemand nur in bestimmten Zusammenhängen oder zu bestimmten Zeiten Frau, ansonsten jedoch Mann sein will.

… werden aber auf ihre Zugänglichkeit überprüft

Unabhängig von den Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz sehen wir jedoch den Bedarf, unsere Programme und Studien dahingehend zu untersuchen, inwiefern sie die Realität von Frauen in ihrer Vielfalt abbilden und sie zugänglich für mehrfachdiskriminierte Frauen sind. Wir analysieren, wie sie erweitert werden können, um den Bedürfnissen aller Frauen zu entsprechen. Dazu gehören auch, aber nicht ausschließlich, trans* Frauen. Hier sind wir zum Beispiel mit dem Mentoring-Programm Vielfalt, das sich explizit an Frauen mit Einwanderungsgeschichte richtet, erste Schritte gegangen.

Um die Ansprache von trans* Frauen zu präzisieren, haben wir in unserer Ausschreibung für den Helene Weber-Preis – der Kommunalpolitikerinnen mit herausragendem Engagement und Leistungen auszeichnet, welche von Bundestagsabgeordneten vorgeschlagen werden, nun explizit den Zusatz eingefügt: „Der Helene Weber-Preis 2024 richtet sich daher an alle Personen, die sich als Frauen identifizieren und sich von der Ausrichtung des Preises angesprochen fühlen.“

Unser Ziel war immer schon, alle Frauen mit unserer Arbeit anzusprechen und sie einzubinden. Wir überprüfen aktuell, wo wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben. Wir wollen uns auch nicht der Frage verstellen, wie wir nichtbinäre Menschen oder auch trans* Männer und feministische Männer noch besser einbinden können. Dabei erkennen wir den Bedarf, Erfahrungen und Wissen zu sammeln, zum Beispiel in Pilotprojekten, Kooperationen und Befragungen, die sich explizit an diese Personengruppen richten. Gleichzeitig appellieren wir an Politik und Verwaltung, die Finanzierung solcher Programme zu ermöglichen und entsprechende Initiativen zu fördern.

Der Weg in eine Zukunft, in der wirklich alle Menschen in ihrer geschlechtlichen Vielfalt Zugang zu einem „Himmel“ haben, ist noch weit – und auch eine Frage von Ressourcen. Diesen „Himmel“ anders zu gestalten bedeutet nicht, ihn oder den Anspruch auf ihn, aufzugeben, sondern lediglich, die Vorstellungen des Himmels an die Realitäten auf der Erde anzupassen.

Autorinnen

Dr. Helga Lukoschat ist seit 2009 Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin und hat diese mitbegründet. Kathrin Mahler Walther ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied. Tina Weber ist Director und Mitglied der Geschäftsführung der EAF Berlin. Stefanie Lohaus ist Leiterin Kommunikation der EAF Berlin, Mitglied der Geschäftsführung und Projektleitung des Projekts "Gemeinsam gegen Sexismus.

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