Kein Marshall-Plan ohne Frauen

Bei einem Pressegespräch erzählen drei ukrainische Führungsfrauen über die Lebens- und Überlebensbedingungen im Krieg.

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Pressekonferenz von "Gemeinsam für Demokratie" am 1. November (Foto: EAF)

Von den Frauen in der Ukraine lernen: In der Verteidigung ihres Landes gegen die russischen Aggressoren spielen ukrainische Frauen an vielen Fronten eine aktive und oft herausragende Rolle. Bei einem Pressegespräch informierten drei von ihnen über die (Über-)Lebensbedingungen im Krieg: "Wir kämpfen auch dafür, dass nicht Sie eines Tages von Explosionen geweckt werden".

Die Delegation ukrainischer Führungsfrauen folgt einer Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung, die in Kooperation mit der EAF Berlin seit Oktober 2021 mit Partnerinnen aus der Ostukraine das Projekt Gemeinsam für Demokratie durchführt. Unter den Gästen aus verschiedenen Regionen der Ost- und Südukraine sind Führungsfrauen aus der kommunalen Politik, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Während ihres Besuchs in Berlin und Dresden bei politischen Entscheidungsträger*innen und gesellschaftlichen Multiplikator*innen informieren sie über die (Über-)Lebensbedingungen im Krieg, über das vielfältige Engagement von Frauen in der Verteidigung des Landes sowie über die Auswirkungen der Situation auf die Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie sprechen über ihre Erfahrungen vor Ort und darüber, was die Ukraine aus ihrer Sicht am dringendsten an Unterstützung und künftigen Partnerschaften für den Wiederaufbau braucht.

Bei einem Pressegespräch am 1. November berichtete Brigitta Triebel, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Charkiw, wie das Projekt "Gemeinsam für Demokratie" entstanden ist. Sie erzählte von ihren Begegnungen und Erfahrungen mit kommunalpolitisch aktiven Frauen in der Ostukraine, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit kennengelernt hatte. Daraus sei der Wunsch entstanden, deren Engagement durch Austausch, Vernetzung und Weiterbildung zu stärken. "Unser Ziel ist es, gemeinsam die Demokratie auf kommunaler und regionaler Ebene aufzubauen," so Brigitta Triebel.

"Wir brauchen Ihre Herzen, damit wir spüren, dass wir nicht alleine sind"

Nadiia Kolenchenko, Abgeordnete des Regionalrates von Kirowohrad, einem Verwaltungsbezirk im Zentrum des Landes, und Regionalvertreterin der Plattform "Ukrainischer Frauenkongress", betonte die Bedeutung und Notwendigkeit von Städtepartnerschaften und äußerte den konkreten Wunsch, eine deutsche Partnergemeinde für ihre Kommune zu finden. "Wir brauchen Medikamente und andere Hilfsgüter, aber mehr noch brauchen wir Ihre Herzen, Ihre emotionale und psychologische Unterstützung, damit wir spüren, dass wir nicht alleine sind.

"Wir kämpfen auch dafür, dass nicht Sie eines Tages von Explosionen geweckt werden"

Oksana Yelchiieva ist Direktorin der Abteilung für den sozialen Schutz der Bevölkerung in der Militärverwaltung der Region Mykolajiv im Grenzgebiet zum besetzten Cherson und damit ständig an der Front. Sie beschrieb, wie es ist, wenn eine Verwaltung aus dem Friedens- in den Kriegsmodus wechseln muss. Angefangen damit, dass sie wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs morgens etwas verspätet zur Arbeit kam und dort, wo ihr Arbeitszimmer gewesen war, ein riesiges Loch im Gebäude klaffte - verursacht durch eine russische Rakete. In den Nachbarbüros seien Mitarbeiter*innen getötet oder verletzt worden. "Eines Morgens wirst du nicht vom Wecker, sondern von einer Explosion geweckt. So beginnt der Krieg. Du gewöhnst dich daran, weil du Verantwortung für die Bevölkerung hast. Die Menschen brauchen dich, ihr Schicksal hängt von dir ab," kommentierte Oksana Yelchiieva und zeigte dabei Fotos von den großen und permanenten Verwüstungen in ihrer Region, von der zerstörten Infrastruktur und Toten in den Straßen. Sie sprach über die besondere Herausforderung ihrer Arbeit: die tausenden von Binnenflüchtlinge, die neben, der verbliebenen lokalen Bevölkerung - rund 50 Prozent haben die Region verlassen - mitversorgen zu müssen. Der kommende Winter stelle dabei eine zusätzliche Bedrohung dar. Häuser und Notunterkünfte müssten beheizt, viele davon aber vorher repariert werden. Ihre Region befände sich im permanenten Wiederaufbau. Doch alles, was heute repariert werde, könne morgen bereits wieder in Schutt und Asche liegen. "Und je länger der Krieg dauert, desto mehr Unterstützung brauchen wir, denn unsere öffentlicher Kassen werden immer leerer." Oksana Yelchiieva appellierte eindringlich an Deutschland, mit der humanitären aber auch militärischen Hilfe nicht nachzulassen. "Bitte lassen Sie die Ukraine nicht alleine. Wir kämpfen auch dafür, dass nicht auch Sie eines Tages von Explosionen geweckt werden."

"Der russische Aggressor hat das Gegenteil von dem erreicht, was er bezweckt hat"

Als dritte ukrainische Teilnehmerin sprach Tetiana Yehorova-Lutsenko, Vorsitzende des Regionalrats von Charkiw, der zweitgrößten ukrainischen Stadt an der Grenze zu den russisch besetzten Territorien gelegen. Mit großer Mehrheit sei sie als erste Frau in diese Führungsposition gewählt worden, berichtete sie. "Ich habe beinahe vergessen, dass ich eine Frau bin. Meine Leute betrachten mich als Leiterin, und ich habe kein Recht, die winzigste Angst in meinen Augen zu zeigen, sondern nur Stärke. Seit der Befreiung der Region durch die ukrainische Armee sei das Leben nach Charkiw zurückgekehrt, auch wenn es immer noch täglich Raketenangriffe gebe. Sie habe inzwischen die Uniform abgelegt und wieder das Kostüm angezogen. Sie glaube fest an den Sieg ihres Landes, denn das ukrainische Volk sei durch den Krieg vereinter denn je, nie seien die Differenzen weiter zurückgestellt und die Freiheit und Unabhängigkeit höher geschätzt worden. "Der russische Aggressor hat also das Gegenteil von dem erreicht, was er bezweckt hat," sagte Tetiana Yehorova-Lutsenko. Auch sie betonte die Bedeutung von Partnerschaften und bezog sich dabei vor allem auf einen Austausch zwischen ukrainischen Ärzt*innen und der Charité Berlin, der am Vortag im Gespräch mit der zentralen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Charité ausgelotet worden war.

Von den Frauen in der Ukraine lernen

Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin, schloss mit einem Dank an alle Projektpartnerinnen. Von Anfang an sei sie beeindruckt und fasziniert gewesen, wie viel Frauen in der Ukraine buchstäblich an allen Fronten leisteten. "Von den Frauenorganisationen in der Ukraine können wir sehr viel lernen: Widerstandskraft, Durchhaltevermögen, Einsatz für Demokratie. Im Wiederaufbau des Landes wird die weibliche Zivilgesellschaft eine herausragende Rolle spielen. Und das Geld muss da ankommen, wo es für sie am nötigsten ist. Daher: keine Marshall-Plan ohne die gleichberechtigte Mitsprache und Beteiligung von Frauen!" So Helga Lukoschat.

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