Jetzt ist unsere Zeit

Mit dem russischen Angriffskrieg verwandelten sich ukrainische Frauenorganisationen in humanitäre Zentren, die sich der dringendsten Probleme der Bevölkerung annehmen.

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Natalya Deliyeva mit dem Kommandanten des 18. Infanterie Marine Bataillons, gefallen am 3. Juni 2022 (Foto: privat)

Mit dem russischen Angriffskrieg verwandelten sich ukrainische Frauenorganisationen in humanitäre Zentren, die sich der dringendsten Probleme der Bevölkerung annehmen. Ein Beispiel dafür ist "Diya".

Unsere Partnerin Natalya Deliyeva schreibt dazu: Meine NGO „Diya“ (Frauenvereinigung der Ukraine) richtete ein solches Zentrum mitten in Odessa ein. Dort helfen wir Vertriebenen, Großfamilien, alleinstehenden Frauen und Müttern. Jeden Tag kommen Menschen, die vor den russischen Besatzern aus ihren Städten und Gemeinden geflohen sind und ihr Zuhause verloren haben. In der Regel kommen sie mit ihren Kindern, denn die Kindergärten sind geschlossen und es gibt niemanden, bei dem sie ihre Kinder lassen können. Einmal kam ein junges Paar, das aus der Region Cherson geflohen war. Ihr Säugling war nur in ein Handtuch gewickelt. Ich fragte sie warum. „Wir haben die Windeln und die Kleidung gewaschen und warten darauf, dass sie trocknen,“ erzählten sie. Denn sie hatten Hals über Kopf aufbrechen müssen und konnten fast nichts mitnehmen. Da sind auch mir die Tränen gekommen. Eine andere Familie kam in unser Zentrum, die einen kleinen Jungen adoptiert hatte, der zu Beginn des Krieges in der Entbindungsklinik abgegeben worden war. Die neuen Eltern baten um Hilfe, weil sie auf eine Adoption nicht vorbereitet waren.

Hilfe für alle

Solche Geschichten erleben wir täglich. Jeden Tag kommen mehr als 30 Familien in unser Zentrum. So unterstützen wir rund tausend Familien im Monat. Das Wichtigste für uns ist, niemanden wegzuschicken, sondern allen zu helfen. Unsere Vereinigung "Diya" arbeitet im ganzen Land, wobei jede Niederlassung ihre eigene Aufgabenstellung hat: Hilfe für Vertriebene, Unterstützung des Militärs, psychologische Betreuung, Organisation von Hilfsgütern, Arbeit an der kulturellen und an der Informationsfront. Wir haben Auslandsvertretungen in Belgien, Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik und Slowenien. In Polen hilft „Diya“ Geflüchteten bei der Wiederansiedlung, in Deutschland sammeln sie Hilfsgüter und Geld für uns. Unsere Frauen in Antwerpen haben ein "Solidaritätsdinner" organisiert und ihre Gäste gegen Spenden mit ukrainischen Spezialitäten verwöhnt. Für das überwiesene Geld sind wir sehr dankbar. Wir haben davon spezielle Babynahrung gekauft: für Frühgeburten, für Babys mit Allergien, glutenfreie Nahrung, wir haben auch Windeln in den Größen 5 und 6 gekauft, die sehr gefragt, aber derzeit knapp sind.

Selbstverständlich unterstützen wir auch unser Militär. Wir sammeln Geld und kaufen davon Medikamente, Hygieneartikel, warme Kleidung, Matten und Schlafsäcke für die Soldaten und Soldatinnen.

Wir helfen auch Krankenhäusern. Vor kurzem wurden Medizinartikel und Medikamente in die Frauenabteilung des psychiatrischen Krankenhauses gebracht. Es ist mit Einheimischen und Binnenflüchtlingen überbelegt. Zum ersten Mal zählen auch Soldatinnen zu den Patientinnen. Oft halten Menschen die Tragödie des Krieges psychisch nicht aus. Sie begreifen nicht, was mit ihnen passiert, verzweifeln am Leid, fallen in die Depression und in langwierige psychische Krankheiten.

Selbst Tieren helfen wir, indem wir Futter für Hunde und Katzen in die umkämpften Gebiete liefern. Die Bevölkerung wurde evakuiert. Nicht alle konnten ihre Haustiere mitnehmen. Deshalb gibt es in den verlassenen Regionen viele heimatlose Tiere. Wir helfen und kümmern uns um jeden, der uns um Hilfe bittet.

Wenn wir nicht barmherzig zueinander sind, wenn wir uns nicht gegenseitig helfen, wenn wir denen, die in Not sind, nicht die Hand reichen, dann wird der Krieg nicht mit einem Sieg enden. Wir können all die Zerstörungen, Ängste und Verluste des Krieges nur ertragen, wenn es Menschen in unserer Nähe gibt, die uns moralisch und materiell unterstützen.

Hoffnung machen

Jetzt ist die Zeit der Frauen. Viele Ukrainerinnen kommen zu uns, weil sie kein Zuhause mehr haben, und manche können nirgendwo hin. Sie haben so traurige Augen, ihre Seelen weinen. Wenn man ihnen etwas zu essen gibt, nehmen sie es als selbstverständlich hin. Aber wenn man ihnen Gesichtscreme, ein Laken oder Hausschuhe schenkt, fangen sie an zu weinen oder bekommen einen Wutanfall. Vielleicht sollten wir ihnen solche "heimeligen" Sachen gar nicht schenken, aber sie haben ja nichts… Heute brach eine junge Frau aus Tschornobajiwka in der Region Cherson, wo heftige Kämpfe stattfinden, in Tränen aus, als ich ihr eine neue warme Jacke gab. Sie sagte: „Ich werde im Winter nicht zu Hause sein.“ Ich sollte vielleicht einmal einen Psychologen um Rat fragen. Denn es ist nicht leicht, humanitäre Hilfe zu leisten. Man gibt den Menschen ja nicht nur etwas Materielles, sondern man muss ihnen zuhören, sie unterstützen und ihnen Hoffnung auf eine gute, friedliche Zukunft machen. Die Frauen im Hinterland tragen die ganze Last des Krieges. Wir helfen, wo wir können. Wir Frauen nehmen es in die Hand.

Natalya Deliyeva ist Vorsitzende der ukrainischen Frauenvereinigung "Diya", die 2016 in Odessa gegründet wurde. Im Newsletter 6 interviewten wir sie über ihre politischen Aktivitäten und die Rolle der Zivilgeselllschaft im Krieg.

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