„Der Beitrag von Frauen zur Landesverteidigung muss mehr gewürdigt werden“

Die Ukraine setzt die UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ seit 2016 in Nationalen Aktionsplänen um. Ein Gespräch mit Liliya Kislitsyna.

Veröffentlicht am: | Autorin : Liliya Kislitsyna

Gesicht mit zwei farbigen Streifen auf der Wange, die die ukrainische Flagge zeigen.
Liliya, eure regionale Koalition 1325 war aktiv an der Aktualisierung des zweiten Nationalen Aktionsplan beteiligt ist. Welche drei Punkte sind dir am wichtigsten oder dringlichsten?

Erstens die Überarbeitung der Zielgruppen des NAP: Es wurden neue Opfergruppen aufgenommen, insbesondere Betroffene sexualisierter Kriegsgewalt, Menschen, die durch die Angriffe materielle Schäden erlitten haben, Menschen, die der Rechtsprechung anderer Länder unterliegen (Flüchtlinge, Gefangene, aus den besetzten Gebieten nach Russland zwangsdeportierte Personen) und andere. Insgesamt werden 21 Zielgruppen aufgeführt, für die der aktualisierte NAP Hilfe vorsieht.

Zweitens die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen in den besonders betroffenen Landesteilen: Alles was mit dem Luftschutz und der rechtzeitigen Warnung der Bevölkerung vor Gefahren zu tun hat, ist uns äußerst wichtig.

Drittens die Beteiligung von Frauen im Sicherheits- und Verteidigungssektor: Die Zahl der Förderungsmaßnahmen wurde erhöht. Der Frauenanteil in den Streitkräften der Ukraine beträgt aktuell rund 30 %. Auch in der Polizei und im Grenzschutz sind viele von ihnen aktiv. Eine große Zahl Ukrainerinnen engagiert sich heute als Freiwillige und unterstützt die Armee, hilft den Kriegsopfern. Der Beitrag der Frauen zur Verteidigung des Landes sollte aber sichtbarer und mehr gewürdigt werden, ihre Rechte und Interessen sollten besser geschützt werden. Der Nationale Aktionsplan 1325 konzentriert sich auf die Entwicklung einer Gleichstellungspolitik in Armee und Polizei, auf die Beteiligung von Frauen an friedenssichernden Maßnahmen und Verhandlungen, auf die Verbesserung der materiellen und infrastrukturellen Unterstützung für Frauen im Militärdienst und die Entwicklung ihrer Führungsqualitäten.

Wie sollte die Umsetzung des NAP Schritt für Schritt erfolgen?

Schritt 1 Lokalisierung: Die Ukraine hat das größte Territorium in Europa. Unsere Regionen sind sehr unterschiedlich, und der Krieg hat sich unterschiedlich auf sie ausgewirkt. Daher muss jede der 25 regionalen Verwaltungseinheiten den zweiten NAP an ihre Gegebenheiten anpassen, d. h. ihren Regionalplan aktualisieren oder einen solchen erstellen, wenn die Region bislang noch keinen hatte. Lokalisierung bedeutet aber auch, dass jede Gemeinde einen NAP 1325 erstellt. Nur wenige haben bislang einen aber wir arbeiten daran. Wichtig ist natürlich, dass jeder Plan – sei es für die Region oder die Gemeinde – über ein Budget und Finanzierungsquellen verfügt. Denn ohne Geld bleibt der Aktionsplan eine Absichtserklärung.

Schritt 2 Institutionelle Interaktion: Für die erfolgreiche Umsetzung des NAP 1325 ist die Zusammenarbeit aller an der Umsetzung des NAP Beteiligten wichtig, dazu gehört der öffentliche Sektor, die Zivilgesellschaft und auch internationale Organisationen.    

Schritt 3 Überwachung der Umsetzung: Dazu gehören u.a. die Evaluation der Erfolge und Lücken des NAP 1325, eine jährliche öffentliche Berichterstattung durch die Hauptverantwortlichen des Plans, Expert*innengespräche und Veranstaltungen zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit.

Wie läuft bislang die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Zivilgesellschaft?

Bemerkenswert ist, dass die Aktualisierung des zweiten NAP von der ukrainischen NGO The Women's Information Consultative Centre initiiert wurde, die als Expertin für die Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ in unserem Land gilt. Letztlich waren Vertreter*innen aller Regierungsbereiche und -ebenen, verschiedener staatlicher Institutionen, natürlich das Büro der Regierungsbeauftragten für Gleichstellungspolitik, aber auch regionale Verwaltungen sowie Vertreter*innen von rund 200 NGO an der Arbeit beteiligt. Seit Ende des Frühjahrs 2022 fanden zahlreiche Konsultationssitzungen statt, unsere Vorschläge wurden berücksichtigt und in die endgültige Fassung des Plans aufgenommen. Am 16. Dezember 2022 wurde der aktualisierte NAP verabschiedet. Anschließend sollten die regionalen Aktionspläne innerhalb von drei Monaten aktualisiert werden.

Bei der Aktualisierung des regionalen Aktionsplans der Region Donezk war der Beitrag von Akteurinnen der Zivilgesellschaft, darunter auch mein persönlicher Beitrag als Koordinatorin der Koalition 1325 Region Donezk wichtig. Vertreterinnen unserer Koalition brachten in Arbeitsgruppen, Konsultationen und Schulungen viele Änderungsvorschläge ein. 133 fanden Eingang in den Entwurf des Regionalplans. Unsere Koalition initiierte auch ein Memorandum mit den regionalen Behörden über die Zusammenarbeit bei der Überwachung des Aktualisierungsprozesses.

Wie setzt sich eure regionale Koalition 1325 zusammen?

In der Region Donezk sind 47 zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativgruppen vertreten. Die Koalition umfasst fast alle Gemeinden unserer Region, die unter der Kontrolle der Ukraine stehen. Die Aufgabenbereiche dieser Organisationen sind vielfältig: Verteidigung von Frauenrechten, Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, Bereitstellung sozialer und psychosozialer Dienste, Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, Unterstützung besonders gefährdeter Gruppen, Gemeinwesenarbeit. Seit Beginn der großflächigen russischen Invasion haben die meisten Organisationen die Region aufgrund der Gefahrenlage verlassen. Sie sind aber nach wie vor von ihren verschiedenen Aufenthaltsorten aus aktiv für ihre Gemeinden und konzentrieren sich auf die Bereitstellung humanitärer Hilfe. Alle Mitglieder der Koalition 1325 gehören zu den im NAP neu definierten Zielgruppen: Binnenvertriebene und Geflüchtete, Frauen mit Behinderungen, Friedensstifterinnen, Vertreterinnen nationaler Minderheiten, Spezialistinnen für die Unterstützung von Opfern (sozial, psychologisch, rechtlich, humanitär, medizinisch), Bewohnerinnen des Kriegsgebiets, Mütter von Kleinkindern.

Zum Projekt Gemeinsam für Demokratie

Autorin
Liliya Kislitsyna

Liliya Kislitsyna war Abgeordnete des Stadtrats Kramatorsk. Sie leitet die Frauen-NGO Smarta, initiierte das erste Frauenforum in der Ukraine und engagiert sich für die lokale überparteiliche Vernetzung von Politikerinnen. Weiterhin ist sie Mitbegründerin der Koalition 1325 in der Region Donezk, in der 45 Organisationen der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen sind.

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