Mehr Klarheit, mehr Gerechtigkeit: Entgelttransparenz als Schlüssel

Die Umsetzung von Entgelttransparenz ist weit mehr als eine reine Compliance-Aufgabe. Sie ist vielmehr eine Chance zur nachhaltigen Organisationsentwicklung und zur Etablierung einer diversitätsorientierten Unternehmenskultur. Von Hanna Völkle (EAF Berlin) und Natascha Wunder (INES Analytics)

Das sehen wir immer wieder in der Beratungspraxis der EAF Berlin. Die Europäische Union hat mit der Verabschiedung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie 2023 einen wichtigen Meilenstein im Kampf gegen Lohnungleichheit gesetzt. Die Maßnahmen der Richtlinie gegen geschlechterdiskriminierende Entgeltstrukturen gehen weit über die des deutschen Entgelttransparenzgesetzes hinaus. Bis zum 7. Juni 2026 hat Deutschland Zeit, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.

Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie: Ein Schritt zur umfassenden Lohngerechtigkeit

Anders als die bisherige deutsche Gesetzgebung gilt die EU-Richtlinie bereits für Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten und sieht eine umfassende Offenlegungspflicht vor. Arbeitgeber*innen werden verpflichtet, Gehaltsstrukturen transparent zu machen und systematisch Lohnunterschiede zu analysieren. Die Richtlinie umfasst eine verpflichtende Berichterstattung über Entgeltunterschiede, erweitert das Auskunftsrecht der Beschäftigten und untersagt Geheimhaltungsklauseln bezüglich des Entgelts. Besonders bemerkenswert ist die Beweislastumkehr: Bei Verdacht auf Diskriminierung müssen künftig Arbeitgeber*innen beweisen, dass keine Benachteiligung vorliegt – nicht umgekehrt.

Der Gender Pay Gap liegt in Deutschland nach wie vor bei etwa 16% – eine Zahl, die sich trotz vieler Bemühungen kaum verändert hat (Statistisches Bundesamt 2025). Selbst wenn Beschäftigungsumfang, Berufe und damit die geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes herausgerechnet werden, liegt die sogenannte bereinigte Lohnlücke 2023 im Schnitt immer noch bei 6% (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, o.J. a) – und variiert stark nach Branche. Die neue Richtlinie bietet die Chance, diese hartnäckige Lücke endlich konsequent zu reduzieren.

Organisationsentwicklung als Schlüssel für nachhaltige Veränderung

Die EAF Berlin unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, die Richtlinie nicht nur als rechtliche Vorgabe, sondern als strategischen Entwicklungsprozess zu begreifen. Dies beginnt mit der Sensibilisierung der Führungsebene für die Bedeutung von Lohngerechtigkeit und umfasst die Entwicklung einer transparenten Vergütungsstrategie. Dabei überprüfen wir bestehende Bewertungssysteme auf versteckte Diskriminierungsfaktoren und binden alle Stakeholder in den Transformationsprozess ein.

Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem erforderlichen Change-Management. Die Offenlegung von Gehaltsstrukturen ist oft ein sensibles Thema und kann Widerstände hervorrufen. Durch professionelle Begleitung können Unternehmen jedoch einen kulturellen Wandel anstoßen, der über die reine Einhaltung gesetzlicher Vorgaben hinausgeht und zu einer gerechteren Unternehmenskultur führt.

Diversity in Leadership: Untrennbar mit Entgeltgerechtigkeit verbunden

Die Förderung von Diversität in Führungspositionen ist ein weiterer zentraler Aspekt unserer Arbeit bei der EAF Berlin. Wir wissen, dass Unternehmen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen nachweislich geringere Lohnunterschiede aufweisen (Sondergeld/Wrohlich 2024). Dabei ist es wichtig, nicht nur auf Gender zu achten, sondern auch andere Dimensionen von Diversität zu berücksichtigen. Unsere Erfahrung zeigt, dass besonders Menschen mit mehreren Diskriminierungsmerkmalen – etwa Frauen mit Migrationsgeschichte oder queere Menschen mit Behinderung – auf dem Weg in Führungspositionen mit Hürden konfrontiert sind.

Wenn wir also über Lohngerechtigkeit sprechen, müssen wir unbedingt auch intersektional denken. In der Vergangenheit wurden Geschlechterfragen oft eindimensional betrachtet und dabei hauptsächlich privilegierte Gruppen in den Blick genommen: weiße, junge, sehr gut ausgebildete cis-Frauen ohne Migrationsgeschichte und ohne Behinderung. Die Realität vieler Frauen in Deutschland sieht jedoch anders aus. Untersuchungen zeigen, dass sich für Frauen mit Migrationsgeschichte gleich mehrere Diskriminierungsformen negativ auf ihr Gehalt auswirken.

Der Migrant Pay Gap oder auch Immigrant Wage Gap beschreibt die Lohnlücke zwischen eingewanderten Menschen gegenüber nichteingewanderten Menschen. 2022 lag er in Deutschland bei 24% (Netzwerk-IQ, o. J.). Der Migrant Gender Pay Gap schaut dazu noch auf Geschlecht, das heißt er zeigt die Einkommensdifferenz zwischen Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und Männern mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Lücke lag 2022 bei 30% (ebd.). Das zeigt sehr deutlich, wie stark migrantische Frauen von mindestens doppelter Diskriminierung betroffen sind.

Die vielschichtigen Diskriminierungsmuster machen deutlich: Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, der Lohngerechtigkeit auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene angeht. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bietet hierfür einen wichtigen rechtlichen Rahmen – doch ihre wirksame Umsetzung erfordert sowohl fachliche Expertise als auch technologische Unterstützung.

Die Synergie von Beratungsexpertise und technologischer Innovation

Um die komplexen Anforderungen der EU-Entgelttransparenzrichtlinie zu erfüllen, kooperieren wir bei der EAF Berlin mit INES Analytics und ihren Software-Lösungen zur Entgeltanalyse. Diese Kollaboration vereint unsere langjährige Beratungserfahrung im Bereich Geschlechtergerechtigkeit mit innovativer Technologie. Die Kombination ermöglicht es uns, Karrierebarrieren für unterrepräsentierte Gruppen präzise zu identifizieren. So können wir zielgerichtete Beratungsangebote entwickeln und dabei unterstützen, vorurteilssensible Beförderungsprozesse zu implementieren sowie die Fortschritte in Bezug auf Diversitätsziele kontinuierlich zu messen.

PAY_transparency wurde von INES Analytics entwickelt, um es Arbeitgebenden zu erleichtern vollständig und rechtskonform die Berichtspflichten und Auskunftsansprüche der EU-Entgelttransparenzrichtline zu erfüllen. Dafür werden die Mitarbeitendendaten in das Tool geladen, das dann automatisch alle notwendigen Berechnungen vornimmt. Der aufgezeigte Gender Pay Gap und alle weiteren relevanten Kennzahlen können jeweils als Datei und Bericht exportiert werden.

Das FAIR_solution Tool von INES Analytics ermöglicht dazu eine detaillierte Analyse von Gehaltsdaten, die weit über einfache Vergleiche hinausgeht. Es berücksichtigt verschiedene Faktoren wie Position, Qualifikation, Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit und kann so ein differenziertes Bild der Lohnstruktur eines Unternehmens zeichnen. Besonders wertvoll ist die Möglichkeit, intersektionale Aspekte in die Analyse einzubeziehen: Das Tool kann beispielsweise aufzeigen, wie sich Geschlecht, Alter, Herkunft und Behinderung auf die Entlohnung und Karrierechancen auswirken.

Die Technologie kann jedoch nur so gut sein wie die Menschen, die sie nutzen. Hier kommt die Beratungsexpertise der EAF Berlin ins Spiel. Wir helfen Unternehmen und Organisationen dabei, die richtigen Fragen zu stellen, die Ergebnisse der Analyse im spezifischen Organisationskontext zu interpretieren und daraus Handlungsstrategien zu entwickeln.

Ein konkretes Beispiel: Bei einem mittelständischen Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden zeigt die Analyse von FAIR_solution, dass Frauen durchschnittlich 7% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen in gleichwertigen Positionen. Die detaillierte Auswertung ergibt, dass dieser Unterschied bei Frauen mit Migrationsgeschichte mit 12% noch deutlich höher ausfällt. Das Tool berechnet, dass die Schließung dieser intersektionalen Lücke jährliche Mehrkosten von etwa 340.000 Euro verursachen würde. Auf Basis dieser Daten entwickelt EAF einen gestuften Implementierungsplan, der diese Kosten über drei Jahre verteilt und in die strategische Personalplanung integriert.

Vier Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie

Basierend auf der Erfahrung der EAF Berlin im Bereich Organisationsentwicklung und der Kollaboration mit INES Analytics möchten wir gemeinsam vier konkrete Handlungsempfehlungen geben, wie Unternehmen die EU-Entgelttransparenzrichtlinie erfolgreich umsetzen können:

1. Proaktive geschlechtergerechte Datenanalyse starten – jetzt!

Warten Sie nicht bis zur finalen Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht. Beginnen Sie bereits heute mit der systematischen Analyse Ihrer Gehaltsstrukturen – und zwar unter Berücksichtigung verschiedener Diversitätsdimensionen. PAY_transparency und FAIR_solution von INES Analytics können Ihnen dabei helfen, nicht nur geschlechtsspezifische Lohnunterschiede zu identifizieren, sondern auch andere Diskriminierungsmuster aufzudecken. Diese umfassende Bestandsaufnahme verschafft Ihnen einen zeitlichen Vorsprung und ermöglicht es, etwaige Lohnlücken schrittweise und budgetverträglich zu schließen.

2. Transparente und inklusive Vergütungssysteme entwickeln

Überprüfen Sie Ihre bestehenden Vergütungssysteme nicht nur auf Transparenz, sondern auch auf Inklusivität. Nutzen Sie Ihre Erkenntnisse aus der systematischen Analyse Ihrer Gehaltsstrukturen und hinterfragen Sie, ob Ihre Kriterien für die Gehaltsfindung wirklich neutral sind. Sind bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt? Scheinbar objektive Kriterien wie „ununterbrochene Berufserfahrung“ können zum Beispiel Menschen benachteiligen, die aufgrund von Sorgearbeit Karrierepausen einlegen mussten. Schulen Sie Ihre Führungskräfte im Umgang mit Gehaltsgesprächen und sensibilisieren Sie sie für mögliche Diskriminierungsmuster. Ein transparentes und inklusives System schützt nicht nur vor rechtlichen Risiken, sondern steigert auch die Mitarbeiter*innenzufriedenheit und -bindung.

3. Change-Management als partizipativen Prozess gestalten

Begleiten Sie den Transformationsprozess durch ein partizipatives Change-Management, das alle Stimmen in Ihrer Organisation einbezieht. Schaffen Sie sichere Räume, in denen auch über erlebte Diskriminierung im Arbeitskontext gesprochen werden kann. Entwickeln Sie gemeinsam ein positives Veränderungsnarrativ, das die Vorteile von Entgelttransparenz und -gerechtigkeit für alle Beteiligten hervorhebt. Unsere Erfahrung zeigt, dass ein solcher Bottom-up-Ansatz Widerstände reduziert und die Akzeptanz für Veränderungen erhöhen kann.

4. Langfristige Governance-Strukturen etablieren

Entgeltgerechtigkeit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Richten Sie daher dauerhafte Verantwortlichkeiten für dieses Thema ein. Bilden Sie ein interdisziplinäres Team, das regelmäßig den Fortschritt überwacht und notwendige Anpassungen vornimmt. Integrieren Sie Entgeltgerechtigkeit in Ihre Key Performance Indicators und machen Sie sie zu einem festen Bestandteil Ihrer Unternehmensberichterstattung. Nutzen Sie PAY_transparency und FAIR_solution für regelmäßige Analysen und setzen Sie auf externe Beratung, um weiße Flecken zu vermeiden. Machen Sie Fortschritte sichtbar und feiern Sie Erfolge – das motiviert alle Beteiligten, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Fazit: Lohngerechtigkeit als Teil einer umfassenden Gleichstellungsstrategie

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bietet eine Chance, geschlechtsspezifische und andere Lohnunterschiede systematisch zu überwinden. Doch um wirklich nachhaltige Veränderungen zu bewirken, müssen wir Lohngerechtigkeit als Teil einer umfassenden Gleichstellungsstrategie verstehen, die auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene ansetzt.

In unserer Kollaboration mit INES Analytics verbinden wir bei der EAF Berlin fachliche Beratung und Begleitung mit innovativer Technologie, um Unternehmen und Organisationen auf diesem Weg zu begleiten. Wir sind davon überzeugt, dass dieser ganzheitliche Ansatz nicht nur die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen sicherstellt, sondern auch einen tiefgreifenden Wandel der Arbeits- und Führungskultur anstoßen kann.

Unternehmen und Organisationen, die die oben genannten Herausforderung proaktiv angehen, profitieren von erhöhter Arbeitgeber*innenattraktivität, verbesserter Mitarbeiter*innenbindung und einem Wettbewerbsvorteil im Kampf um Talente. Letztendlich führt mehr Lohngerechtigkeit zu einer stärkeren Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen und damit zu höherer Produktivität, Innovation und Kreativität.

Die Zeit zu handeln ist jetzt – nutzen Sie die Übergangsphase bis zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie, um Ihr Unternehmen optimal aufzustellen und aus der gesetzlichen Anforderung einen strategischen Vorteil zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam eine Arbeitswelt gestalten, in der Lohngerechtigkeit für alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung oder Behinderung – Wirklichkeit wird.

Literatur

Antidiskriminierungsstelle des Bundes, o. J. a: Migration Pay Gap. Online verfügbar: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Glossar_Entgeltgleichheit/DE/19_Migration_Pay_Gap.html (letzter Aufruf: 25.03.2025).

Antidiskriminierungsstelle des Bundes, o. J. b: Migration Pay Gap. Online verfügbar: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Glossar_Entgeltgleichheit/DE/19_Migration_Pay_Gap.html (letzter Aufruf: 25.03.2025).

Sondergeld, Virginia/Wrohlich, Katharina (2024): Gender Pay Gap in einem Betrieb sinkt mit mehr Frauen in Führungspositionen. DIW Wochenbericht 3/2024, S. 38–43. DOI: https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-3-3.

Statistisches Bundesamt (2025): Pressemitteilung Nr. 056. Online verfügbar: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/02/PD25_056_621.html (letzter Aufruf: 25.03.2025).

Netzwerk-IQ (o. J.): Der Migrant-Gender-Pay-Gap: Bis wann arbeiten: Migrant*innen „umsonst“?. Online verfügbar: 

https://www.netzwerk-iq.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Fachstelle_Einwanderung/Publikationen_2025/FEI_Equal_Pay_Day__M_G_PD_2025-03-06.pdf (letzter Aufruf: 25.03.2025).

 

Die Autorinnen

Hanna Völkle ist Senior Expert mit Schwerpunkten auf Vielfalt, Chancengleichheit und Digitalisierung. Ihr Fokus liegt insbesondere in der Modellprojektentwicklung und Vernetzung – für die Ebenen Gesellschaft und Organisationen. Sie ist studierte Sozialwissenschaftlerin und Politökonomin sowie zertifizierte Diversity-Trainerin. 

Natascha Wunder ist Head of Commercial Operations bei INES Analytics und gestaltet an Softwarelösungen für faire und nachhaltige Arbeitsbedingungen.

Veröffentlicht am: | Autorin : Hanna Völkle

Autorin
Hanna Völkle

Hanna Völkle ist Senior Expert mit Schwerpunkten auf Vielfalt, Chancengleichheit und Digitalisierung.

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